"...der falsche Schmerz
dies Wort zerschmettert meinen Kopf
erhebt sich wieder
ohne Furcht
vor den drei Fenstern
den Wellen der See
mit begrabenem
Blick."
- Christian Dörge, ATAVISMUS DES ZWIELICHTS
Christian Dörge beginnt den Roman Paradigma zu schreiben, einen weitgespannten, metaphysischen Text mit deutlichen autobiographischen Elementen. Außerdem veröffentlicht der Autor im Signum-Verlag/Marburg den Roman Phenomena (entstanden im Jahr 1986), der vor dem Hintergrund exotischer Dekadenz die faszinierende und dramatische Geschichte eines namenlosen Protagonisten erzählt, der in einer symbolisch zugespitzten und surrealen Altagsszene lebt; ein Roman wie ein Gefäß zielloser Regungen: dunkle Gassen in einer schmutzigen Mega-City, kleine Wohnkammern, entsetzlich sterile Krankensäle, Brutstätten für Angst und Gewalt.
Die Arbeit an der Fortsetzung Phenomena II bleibt unvollendet.
Im Februar findet in Regensburg die erste und einzige Paradigma-Lesung statt, die ein großer Erfolg wird. Der Signum-Verlag veröffentlich im Mai unter dem Titel Inferno die Paradigma-Fragmente Vier Geister in Hamlet und Van Goghs unvollendetes Porträt des Königs der Schmerzen.
Im Dezember veröffentlicht Christian Dörge – wiederum im Signum-Verlag – das umstrittene, wenngleich wagemutige und visionäre Buch Opera, eine Sammlung komplexer, in Teilen von Arno Schmidt und James Joyce inspirierter Texte. Opera ist der gelungene Versuch des Autors, die Grenzen zwischen Lyrik und Prosa zu überwinden, Sprache von der reinen Nutzanwendung zu lösen und nach mehreren Roman-Projekten neue literarische Wege zu beschreiten; so enthält diese Sammlung neben frühen Theaterarbeiten vor allem umfangreiches Lyrik-Material, welches maßgeblichen Einfluss auf Form und Inhalt späterer Text des Autors haben wird. Darüber hinaus ist Opera – insbesondere die rauschhafte Titel-Erzählung – ein bis heute gültiges programmatisches Ereignis für sein literarisches Schaffen, sein bisher schwierigstes Buch und stilistisch überaus anspruchsvoll: Während noch Paradigma trotz einiger grotesker Ideen die Vorbilder unter den klassischen Erzählern nicht verleugnen konnte, werden Lyrik und Prosa in Opera zu durcheinanderwirbelnden Konglomeraten aus klassischer Literatur und Postmoderne.
Christian Dörge gründet gemeinsam mit der Theater-Wissenschaftlerin Nadine Wenzel die Theatergruppe Orphée-Dramatiques.
Im Juli finden in Marburg/Lahn, Regensburg und Eschwege weitere Lesungen des Autors statt; gelesen wird ausschließlich Opera-Material – teilweise sogar in Werkstatt-Versionen wie z.B. eine frühe Prosa-Version des Theaterstücks Eine Selbstspiegelung des Poeten.
Das Marburger Literatur-Periodikum Der Gegenstand veröffentlicht im März Dörges Cyberpunk-Miniaturen Chromatics und Hyperconnect; im Mai wird als dritte Miniatur die Kurzgeschichte Metro Diner 89 veröffentlicht. Seither gilt Christian Dörge als erster deutschsprachiger Vertreter der Cyberpunk-Literatur.
In Zusammenarbeit mit den Grafikern Johann Peterka und Jobst H. Teltschik entsteht das Buch Lichter von Paris. Für dieses Projekt verzichtet Christian Dörge größtenteils auf die experimentelle Lyrik und Prosa von der Art, wie sie Opera gekennzeichnet hat. Stilistisch deutlich konventioneller und inhaltlich dem literarischen Surrealismus zugetan, findet er hier zu einer klarer strukturierten Erzählform zurück; gleichwohl begegnet dem Leser ein extensives Spiel mit Worten, Assoziationen sowie traumhaft-traumatischen Bruchstücken, quasi ein puzzleartiges Glasperlenspiel; imaginäre Fragmente reihen sich aneinander, ohne dass jedoch die Gesetze der Kausalität außer Kraft gesetzt würden.
Im November beginnen die Orphée-Dramatiques in Marburg/Lahn am Theater neben dem Turm mit den Proben der Inszenierung einer von Christian Dörge verfassten, von Jean Cocteau inspirierten Stücke-Trilogie.
Der Autor veröffentlicht im Signum-Verlag den Band Automatik, welcher neben einigen Theater-Experimenten (ein vom Werk Salvador Dalis inspiriertes Triptychon) eine frühe Version der Erzählung Saturn in fremdem Fleisch enthält.
Im März werden in der Reihe Signum-Theaterhefte die Stücke
Eine Selbstspiegelung des Poeten und Das Testament des Orpheus veröffentlicht. Beide Stücke werden im April an vier
Abenden unter der Regie von Christian Dörge in Marburg/Lahn mit großem Erfolg ur-aufgeführt. So resümiert beispielsweise das Eulenspiegel-Literaturmagazin in
seiner geradezu euphorischen Besprechung: „(…) Das eindringliche Spiel zwischen Christian Dörge und Nadine Wenzel gleicht
einer melodisch-leichtfüßigen, von tiefer Kenntnis geprägten Leidenschaft. (…) Auf diesem schwierigen Terrain bewegt sich Dörge als Autor und Regisseur mit einer für den deutschen Sprachraum
außergewöhnlichen Eleganz.“ Die Marburger Allgemeine Zeitung (MAZ) schreibt: "(...) Eine Selbstspiegelung des
Poeten ist eine elegante Liebeserklärung an die Literatur und an die Magie der Sprache, eine Ode an die surrealistische Theaterwelt, mit der Christian Dörge das verführerisch-literarische Drama
als Regisseur und Schauspieler aus seinem Schattendasein führt. (...)"
Beginn einer zweijährigen Zusammenarbeit mit dem Lyriker Mirko Boucsein, mit dem Christian Dörge das Buch Philister verfasst, eine überaus schwer zugängliche Textsammlung, die ähnlich wie Lichter von Paris erkennbar unter dem Einfluss des literarischen Surrealismus steht, dem sie vor allem in der Technik der „unlogischen“, mehr dem Ablauf von Träumen als realen Ereignissen folgenden Motivverknüpfungen nahesteht; auch expressionistische Elemente (man denkt vor allem an die Kurzprosa Trakls) sind nicht zu übersehen: Gewalt und Sexualität sowie eine morbide Grundstimmung prägen das Erscheinungsbild dieses Projekts. Selbst wenn ein solcher Stil heute nicht mehr denselben, schockierenden Neuigkeitswert hat, den dergleichen in den 20er Jahren für sich beanspruchen konnte, erweist sich das Werk dank der Sprachgewalt beider Autoren dennoch als überaus geeignet, auf seine Leser eine düstere Faszinationskraft auszuüben.
Unter der Regie von Christian Dörge wird im Rahmen des Marburger Off Cameras-Theaterfestivals Dörges Zweipersonen-Stück Das Gesicht uraufgeführt: Christian Dörge ist als „Das Monotone Geräusch“ zu sehen, Nadine Wenzel stellt „Die Spiegelfrau“ dar. Die Vergewaltigungs-Thematik des Stückes sorgt für erhebliche Diskussionen im während des Festivals, in dessen Verlauf das Stück insgesamt viermal aufgeführt wird.
Ab Mai finden mehrere Lesungen statt, vorgetragen wird auch neues, unveröffentlichtes Philister-Material.
Im Juni wird in Marburg/Lahn an drei Abenden im Theater neben dem Turm nach fast einjährigen Proben und mit erheblichem technischem Aufwand das surrealistische Drama Das Gefängnis (Buch und Regie: Christian Dörge) uraufgeführt: Das Stück erzählt die Geschichte eines psychisch vielfach gespaltenen Archetyps („Das Idol“, gespielt von Christian Dörge), dessen verschiedene Identitäten sich verschwören und ihn schließlich umbringen (und damit auch sich selbst).
Diese Inszenierung wird für Dörge zum bis dahin größten künstlerischen Erfolg:
Die Reaktionen von Publikum und Presse sind gleichermaßen begeistert. Die Kulturnews schreibt: „(...) Angesichts der schonungslosen Offenbarungen des
Hauptprotagonisten, einer fast absoluten Offenheit, ist Christian Dörges Stück – neben stilistisch brillant – vor allem eines: intim. Es provoziert geradezu Identifikationen. (…) Es ist
schwierig, die richtigen Worte zu finden, welche dieses Stück beschreiben könnten. „Kafkaesk“ wäre ein Urteil, das aber nur ansatzweise zutrifft, „surreal“ könnte man anmerken, wenn das Stück
nicht so erschreckend real wirkte. Was ich jedoch ohne Zweifel behaupten kann, ist, dass man sich dem dramaturgischen Sog nur schwer entziehen kann.“ Die Marburger Allgemeine Zeitung (MAZ) ergänzt: "An Christian Dörge führt auch in diesem Theatersommer kaum ein Weg vorbei. Während manch einer immer noch den Untergang
von Buch und Theater prophezeit, inszeniert Dörge Jahr für Jahr ambitionierte dramatische Projekte. (...) Sein Thema in Das Gefängnis ist die Spaltung einer Persönlichkeit in mannigfaltige, sich
verschwörende Aspekte. Nun macht Dörge es sich nicht leicht, indem er ein eigenes Stück möglichst 'objektiv' inszeniert, doch die meisterliche Umsetzung, das Format von Dörges Regie, die Liebe
zum dramaturgischen Detail erweisen sich als geradezu perfekt. (...) Stärker als in früheren Projekten, in denen Dörge auch darstellerisch den Aspekt des Geisterhaft-Antiken in den Vordergrund
stellte, widmet er sich hier den Charakteren, den Skulpturen. (...) Warum das Stück so sehenswert ist? Weil es still, so unprätentiös und so feinfühlig ist. Ein großes Stück, eine große
Inszenierung - genauso wunderbar wie seine Vorgänger."
Zeitgleich mit der Uraufführung veröffentlicht der Signum-Verlag Das Gefängnis als Buch.
Der Autor eröffnet in Marburg/Lahn eine eigene Galerie namens Factory, aus der er sich jedoch nach drei Monaten wieder zurückzieht. Zur Eröffnung findet neben einer Gemäldeausstellung des Malers und Grafikers Lars Vollbrecht die bis heute einzige gemeinsame Philister-Lesung von Mirko Boucsein und Christian Dörge statt.
Im Mai wird – nach Eine Selbstspiegelung des Poeten und Das Testament des Orpheus – an drei aufeinanderfolgenden Abenden der dritte und abschließende Teil der Cocteau-Hommage, das epische Drama Variationen einer literarischen Handschrift, im Theater neben dem Turm uraufgeführt.
Im Laufe des Jahres finden weitere Lesungen des Autors statt – u.a. in Regensburg, Eschwege, Marburg/Lahn und Frankfurt/Main (im Rahmen der Frankfurter Buchmesse); weiterhin publiziert er unveröffentlichtes Material in diversen Literaturzeitschriften.
Erstmals vertont Christian Dörge seine Lyrik: Im Klangwerk-Studio Marburg/Lahn entstehen im Juni zwölf Vertonungen, darunter Der Kult, Tod/Death und Napalm-Gott: Stimmen und Instrumente stammen vollständig von Christian Dörge, der das Album – wie auch sämtliche folgenden Alben – darüber hinaus selbst produziert. Das (Debüt-)Album Anonymus erscheint im Juli im Signum-Verlag; im Oktober unterschreibt Christian Dörge einen Vertrag bei der Schweizer Plattenfirma Hall Of Sermon, die das Album in Lizenz übernimmt, eine Veröffentlichung jedoch in letzter Minute mit der Begründung „zu intellektuell“ ablehnt. Daraufhin verschwindet das Album für fast zwanzig Jahre im Archiv.
Im November begibt sich Christian Dörge erneut ins Tonstudio (in Bayreuth sowie in Basel/Schweiz), um dort sein zweites Album – unter Mitwirkung von Oswald Henke, Tilo Wolff und Wolfram Nestroy – aufzunehmen.
Im Januar beginnt Christian Dörge eine Lese-Tour, die ihn im Verlauf des Jahres während 28 Lesungen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz führt und die in Teilen der Veröffentlichung seines neuen Buches Gift vorangeht.
Die Aufnahmen zu Christian Dörges zweitem literaturvertonenden Album Lycia werden im Mai abgeschlossen. Vertont werden insgesamt zehn Texte – u.a. Süße der Sünden, Lycia 1 – 3 und Kriegsvögel; den stimmlichen Vortrag teilen sich Oswald Henke und Tilo Wolff, Christian Dörge wiederum rezitiert den Text Flut – die Vertonung dieses Stücks erscheint jedoch erst im Jahr 2013 auf der 20th Anniversary-Edition von Lycia.
Christian Dörges Buch Gift erscheint im Mai
(im Verlag Knochen für Bismarck), in welchem neben neuem Material auch Opera-Texte (als Wiederveröffentlichung) sowie das umfangreiche Paradigma-Fragment LSD-Astronauten mit der Hoffnung auf rationale Scherben enthalten sind. Im Platzangst Literatur-Magazin heißt es hierzu: "(...) dazwischen meint man verzwickte, prosaische Schelten gegen die Leere der Nächte, deren Einsamkeit, der Leere
eines unzufriedenen Daseins als Zeichen der Existenz auszumachen; findet sich wieder in einem infernalischen Drogentrip in der Wüste, welche immer wieder als Sinnbild der Trostlosigkeit unserer
Gesellschaft herhalten muß; tanzt zusammen mit dem Autor in den wirren, drogengepushten Pirouetten über eine Bühne eines zaghaft apokalyptischen, ja alptraumhaft-verfallenen Theaterstücks."
Das Krachkultur Literatur-Magazin geht noch einen Schritt weiter: "Christian Dörge ist Dichter mit Leib und Seele. In allem, was er schreibt, steckt dieses liebevolle Element, in der Sprache
vollkommen aufgehen zu können. (...) Dörge ist immer nüchterner Betrachter - im stilistischen Sinne.(...)"
Es folgen regelmäßige Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften sowie im September das Buch Lichter von Paris (Verlag Knochen für Bismarck), welches ebenfalls durch Opera-Texte ergänzt wird.
Mitte August veröffentlicht Hall Of Sermon/SPV das Album Lycia; im Oktober erreicht das Album Platz 4 der Deutschen Alternative-Charts (DAC). Noch im selben Monat beginnt Dörge ein weiteres Album (Arbeitstitel ist Moldavia) vorzubereiten. Mit Mindy Kumbalek von Goethes Erben erarbeitet er den Song Heidentor und schreibt die Stücke Moldavia und Frevel; doch kurz darauf bricht er die Arbeiten an seinem dritten Album ab und gründet das Projekt Syria, welches in folgender Besetzung das Album Ozymandias Of Egypt einspielen wird: Christian Dörge (Gesang, Piano, Synthesizers), Cat Nemeth (Gesang), Andy Hägler (Gitarren), Patrick Sayer (add. Gitarren, Programming), Ulrich Kaon (Cello) und Kevin Lancashire (Programming); als Gast ist zudem die finnische Sängerin Anne Nurmi während einiger gesprochener Passagen zu hören.
Von Oktober an schreibt Christian Dörge 14 neue Songs; im Dezember beginnen in Studios in Basel/Schweiz und Prag/Tschechien erste Demo-Aufnahmen von Ozymandias, Giving Ground, Your Waterland und Medusa Of Van Gogh/To His Genius. Gemeinsam mit Ulrich Kaon komponiert Dörge die Songs Structure und Fragments.
Christian Dörge beginnt die Arbeiten an seinem neuen Buch mit dem Titel Tristana. Neben zahlreichen lyrischen Werken schreibt er in dieser Zeit die Prosa-Texte Passion, Monolog zum Prophetensturz, Lichtjahre und Ozymandias im Staub. Neues Textmaterial wird wiederum in diversen Anthologien etc. veröffentlicht; vereinzelt finden Lesungen statt, u.a. in Antwerpen/Belgien.
Im Mai werden die Aufnahmen zu Ozymandias Of Egypt beendet; am 08. Mai findet in Basel das erste (und einzige in der Originalbesetzung) Syria-Konzert statt. Außerdem werden erste Demos zum zweiten Syria-Album eingespielt; Keyboarder Kevin Lancashire ist zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Syria-Projekt entlassen worden.
Ende Juni veröffentlicht Hall Of Sermon/SPV die Maxi-CD Giving Ground (1994), die neben dem Titelstück noch Remix-Versionen der Album-Songs Structure und Saxophone Telescope And The Pilot’s Death enthält. Christian Dörge lässt im Juli die Auslieferung der MCD stoppen und trennt sich von Hall Of Sermon; im August entlässt er Cat Nemeth und Ulrich Kaon und gründet schließlich seine eigene Plattenfirma Black October-Records.
Im Dezember unterschreibt Christian Dörge einen Plattenvertrag bei Derrière-Records/Session-Music.
Zu Jahresbeginn setzt Christian Dörge mit Andy Hägler und Patrick Sayer in Basel die Aufnahmen zum zweiten Syria-Album fort; neben Remix-Versionen von vorhandenem Material werden fünf neue Songs eingespielt, was Marrakesh Night Market – so der Titel des Albums – zu einer Art Transition-Album werden lässt.
Im Februar wird bei Derrière-Records/Black October-Records/SPV zunächst die Maxi-CD Giving Ground (1994) wiederveröffentlicht, die sich sofort europaweit zu einem veritablen Alternative-Hit entwickelt; im März folgt schließlich das Album Ozymandias Of Egypt. Beeinflusst von orientalischen und indischen Klängen enthält das Album zwölf genial-innovative poetische Songs, die eine düstere Geschichte von mythologischen Göttern und Königen, von Monumenten, die die Wüsten überragen, von Leidenschaften und Tragödien erzählen.
Album und Maxi werden – trotz oder gerade wegen – der musikalischen und textlichen Distanzierung zur Lycia-CD von Publikum und Presse mit einiger Irritation aufgenommen; dennoch wird Ozymandias Of Egypt ein großer künstlerischer und kommerzieller Erfolg – im April erreicht das Album Platz 8 der Deutschen Alternative-Charts.
Dementsprechend erscheint bereits im Juli das zweite Album Marrakesh Night Market, das ebenfalls zwölf Songs enthält. Das Album ist noch vielschichtiger, filigraner und zugleich experimenteller als sein Vorgänger: es enthält u.a. schwermütig-atmosphärische Piano-/Keyboard-Elegien wie Spectrum No. 1 und Elizabeth Of Glass, die – verziert mit orientalischen Ornamenten – zu einer einzigartigen Stil-Kombination verschmelzen.
Das europaweite Presse- und Publikums-Echo ist durchweg euphorisch. Noch im Juli erreicht Marrakesh Night Market Platz 2 der DAC; darüber hinaus hinaus entwickeln sich die Stücke Visions Of The Sea (Jutland-Mix) und The Girl The Gold Watch And Everything in den folgenden Monaten zu Airplay-Hits und führen wochenlang die Dark Beat-Charts von Radio Marabu an.
Außerdem setzt Christian Dörge die Arbeiten an Tristana fort; so entstehen überarbeitete Versionen der Kurzgeschichten Tee in der Sahara, Eine Frau in Afrika und Feld mit Blumen sowie Neufassungen der Opera-Texte Sphinx und Fragmente eines heimlichen Spaziergangs.
Ab Juli arbeitet Christian Dörge wieder mit Andy Hägler und Patrick Sayer in Basel im Klangfang-Studio, um ein neues Album – die erste Literatur-Vertonung seit Lycia – einzuspielen. In nur drei Wochen Produktions-Zeit werden zwölf Stücke für das Album Antiphon aufgenommen. Vertont werden fast ausschließlich Opera-Texte wie Stillleben, Zerbrechlich und Im Café. Musikalisch ist das Spektrum – nicht unähnlich den Syria-Alben – denkbar groß: so verbindet das Album Jazz-, Pop- und Rock-Elemente mit Neo-Klassik und dokumentiert trotz vergleichbarer Vorzeichen eine Abkehr von Lycia und baut stattdessen eine Brücke zurück zum Debüt-Album Anonymus. Umso erstaunlicher ist die Neuaufnahme des Lycia-Songs Mystische Rosenmadonna, welche ungleich dynamischer und präziser geraten ist als das 93er Original. Bei dieser Neuaufnahme übernimmt Christian Dörge den Gesang.
Schon im September wird weiteres neues Material aufgenommen: Unterstützt von der Sängerin Kathrin Schlender, die den Gesang bei The Gartan Mother’s Lullaby und die Backing Vocals bei Elegy Of Angels And Dogs übernimmt, werden acht Songs für die Syria-E.P. Neverland Things aufgenommen, darunter auch die Sisters Of Mercy-Cover-Version Lucretia My Reflection, über die das Musik-Magazin Vertigo in seiner Ausgabe 1/96 schreibt, der Song sei in der Syria-Version „in punkto Gitarrenarbeit und Gesang dem Original haushoch überlegen“. Der Song wird zudem im Dezember auf dem Sisters Of Mercy-Tribute-Sampler Monochrome veröffentlicht.
Im November erscheint der German Mystic Sound-Sampler, vol. 5, auf welchem – vom Marrakesh Night Market-Album bereits bekannt – Comfortably Numb/Some Kind Of Stranger veröffentlicht wird.
Zu Jahresbeginn kommt das Album Antiphon (Derrière-Records/Black October-Records/SPV) auf den Markt, das erneut europaweit größte Presse-Aufmerksamkeit auf sich zieht und hervorragende Kritiken enthält. Allerdings bleiben die Verkaufszahlen hinter den Erwartungen zurück – erst Jahre später entwickelt sich Antiphon zu einem kommerziell enorm erfolgreichen Album.
Christian Dörge gründet im Februar sein eigenes Tonstudio – das Black October Recording-Studio in Burgwald. Dort schreibt er die Songs für das kommende, dritte Syria-Album und nimmt mit dem Gitarristen Matthias Weisheit zunächst diverse Demos auf: Innerhalb von vier Wochen entstehen die Songs Untitled 1964, Conversations At Night, Fruit Of The Desert und – gewissermaßen als Antiphon-Echo – Venus von Prag, während in Basel im Klangfang-Studio die Cover-Versionen Hey Hey Helen (ABBA) und Sweetest Smile (BLACK) vorbereitet werden.
Es folgen weitere Sampler-Veröffentlichungen, so werden die Songs Neverland Things auf dem Gothic Enigma-Sampler, vol. 1 und Elegy Of Angels And Dogs auf dem Gothic Grimoire-Sampler, vol. 2 veröffentlicht.
Seit Ende Januar sucht Christian Dörge via diverser Anzeigen in Musik-Magazinen nach einer neuen Syria-Sängerin; nach zahlreichen Auditions entscheidet er sich im März für Sängerin Kira, die umgehend in die Aufnahmen der neuen Stücke integriert wird. Etwa zur gleichen Zeit beginnen die Proben für die erste Syria-Tour: Die Neverland Things-Tour 1996 (Support: Derrière Le Miroir, Edera und Timothy Moldrey), die in den Monaten Mai, Juni und Oktober acht Konzerte in Deutschland umfasst.
Zum Tour-start erscheint die Neverland Things-E.P. (Derrière-Records/Black October-Records/SPV), ein erster Vorgeschmack auf das neue Album. Die E.P. wird kommerziell und hinsichtlich des Presse-Echos ein überragender Erfolg; erstmals gelingt es Christian Dörge zudem, sich mit dem Titelsong auf den vorderen Rängen zahlreicher US-College-Charts zu platzieren. Ein Angebot für eine komplette US-Tour lehnt er jedoch ab.
Im Juni wird der Syria-Song Logic Of Empire auf dem Neurostyle-Sampler veröffentlicht und entwickelt sich zu einem europaweiten Alternative-Hit.
Während der laufenden Tour schreibt Christian Dörge gemeinsam mit Matthias Weisheit mehrere neue Songs – darunter den überragenden Titel The Trial, Parts 1 & 2 - , die zur E.P.-CD Voodoo Highway zusammengefasst werden. Nach Abschluss der Aufnahmen beendet Christian Dörge jedoch die Zusammenarbeit mit Matthias Weisheit.
Im Juli unterschreibt Christian Dörge einen Plattenvertrag bei Sounds Of Delight, und im Oktober erscheint als weiterer Vorgeschmack auf das dritte Syria-Album die sehr Rock-betonte E.P. Voodoo Highway (Sounds Of Delight/Black October-Records/SPV).
Die Arbeiten am neuen Album werden im September abgeschlossen, und das Ergebnis überragt die Vorgänger um ein Vielfaches: A Gift From Culture (Sounds Of Delight/Black October-Records/SPV) wird im November veröffentlicht. Das Album (DAC #4) setzt die Tradition früherer Syria-Veröffentlichungen fort, bereichert das Konzept jedoch um geradlinigen Rock (Icon Of Sin) und um deutlich vernehmbare Jazz- und Chanson-Einflüsse (The Last Picasso).
Das Album erfährt größte internationale Resonanz – wiederum bis in die US-College-Radios – und dokumentiert die Ausnahmestellung, die Syria innerhalb des alternativen Musik-Marktes längst innehat. Gleichzeitig beendet A Gift From Culture die erste Arbeitsperiode der Band.
Gegen Ende des Jahres nimmt Christian Dörge im Black October-Recording-Studio erste Demos für ein Album mit dem Arbeitstitel Unfinished Portrait Of The Moderns auf; das Konzept sieht vor, ein Doppel-Album zu veröffentlichen, welches zusätzliche eine Dokumentation über die Entstehung desselben enthalten soll.
In der Besetzung Christian Dörge (Gesang, Piano, Synthesizers, Gitarren), Kira (Gesang) und Andy Hägler (Gitarren) beginnt ab Januar die Studio-Produktion des vierten Syria-Albums; das ursprüngliche Konzept wurde von Christian Dörge zwischenzeitlich dahingehend verändert, dass ein auf fünf CDs angelegter Album-Zyklus entstehen soll. Dies ehrgeizige Projekt trägt nun – inspiriert von Julian Barnes – den Titel Metroland. Im Verlauf der Produktion werden die von A Gift From Culture bereits bekannten Chanson-Elemente weiter verfeinert und verstärkt herausgearbeitet; die Arrangements werden allerdings im Vergleich zu früheren Syria-Alben spartanischer, reduzierter, das Material orientiert sich wesentlich an Dörges Piano-Spiel, den markanten Gitarren-Soli von Andy Hägler und an den Stimmen von Christian Dörge und Kira, was sich speziell in Songs wie beispielsweise Feeling Minnesota und Jazz Thieves And Cigarette Smoking Girls manifestiert.
Im Mai erfolgt die Trennung von Sounds Of Delight. Die Studio-Produktion wird jedoch fortgesetzt.
Christian Dörge veröffentlicht im Oktober die Kurzgeschichte Der zerrissene Fisch in einer Anthologie, welche sich mit dem Werk von H. P. Lovecraft beschäftigt; dies ist das erste genrespezifische Werk des Autors seit acht Jahren.
Im April wird der Song The Motel von der Voodoo Highway-E.P. auf dem Sampler The Dark Side Of David Bowie veröffentlicht.
Es folgen in diesem Jahr keine weiteren Veröffentlichungen, da sich Christian Dörge ganz und gar auf die anspruchsvolle Produktion von Metroland konzentriert.
Musik-Video: SYRIA - Jokertown (aus dem Album Metroland).
Produktion & Regie: A.H. Garcia.
Christian Dörge unterschreibt im Februar einen Plattenvertrag bei Hyperium-Records/Rough Trade. Als erste Hörprobe vom kommenden Album wird im April der Song No Cabaret auf dem ZilloScope-Sampler 4/99 veröffentlicht; zeitgleich wird die Produktion des Metroland-Zyklus beendet.
Ende April erscheint schließlich das vierte Syria-Album: Metroland I (Hyperium-Records/Black October-Records/Rough Trade). Das Album enthält 17 Songs aus allen Phasen der Produktion: spartanische Piano-Balladen (Taxi Dancing, Your Ghost), jazzig-verspielte Chanson-Experimente (Somewhere In England, Ten Cents A Dance), psychedelische Klanggemälde (Black Coffee Logic, Angels And Insects) und klar strukturierte Pop-Songs (No Cabaret, Love Is A Gun). Metroland I dokumentiert eindrucksvoll die erhebliche Veränderung und Weiterentwicklung von Syria zu vollkommener und unverwechselbarer Eigenständigkeit und wird mit größter weltweiter Presse-Aufmerksamkeit bedacht; im Mai erreicht das Album Platz 8 der Deutschen Alternative-Charts.
Im Juli erscheint der Hypericomes-Sampler, welcher die Syria-Songs Jazz And Kafka und Jokertown enthält; auf dem Blisz-Sampler wiederum werden die Titel Ten Cents A Dance und No Cabaret veröffentlicht.
Nach Band-internen Schwierigkeiten mit Sängerin Kira sagt Christian Dörge die bereits gebuchte Cigarettes Smoking European-Tour ab.
Während der laufenden Promotion zu Metroland I wird das Erscheinen von Metroland II vorbereitet.
Im Juli veranstaltet Christian Dörge in Kassel eine Lesung, während der er auch neues, noch nicht veröffentlichtes Textmaterial vorstellt.
Christian Dörge entlässt im Januar Sängerin Kira aus der Band. Metroland II wird zurückgestellt und schließlich als Promotion-CD veröffentlicht. Damit verzichtet Dörge auf das Erscheinen weiterer Metroland-Aufnahmen und beendet dieses Projekt, obgleich er hierfür über 100 Songs produziert hat.
Ab Juli entstehen in der Münchner Grammophone-Suite die Demos On The Beach, Strange Days und Nightmoves, die sich aufgrund ihres poppigen Charakters dramatisch von den Aufnahmen der Metroland-Sessions unterscheiden.
Im Dezember unterschreibt Christian Dörge einen langfristigen Plattenvertrag bei Radio Etienne Music-Entertainment.
Christian Dörge veröffentlicht die Kurzgeschichte Persephone und schreibt für eine Alchemie-Anthologie die Erzählung Golem.
Im Februar veröffentlicht Rough Trade-Records das Syria-12“-Vinyl-Triptychon Jokertown (Remix), Jokertown (Extended-Version) und Visions Of The Sea (Remix) als Limited Edition; diese Vinyl-Maxis deuten an, wohin sich Syria bewegt: hin zu poppigeren, zugänglicheren Klängen.
Ebenfalls im Februar beginnt Christian Dörge mit der Zusammenstellung eines Syria-Best-Of-Albums. Im Zusammenhang mit dieser umfangreichen Produktion entstehen neue Versionen diverser Klassiker, darunter u.a. Sweetest Smile, No Cabaret, Black Coffee Logic und In The Morning; ferner produziert Christian Dörge eine rockigere Neuaufnahme von Highschool sowie die neuen Songs Never Again und December.
Im August trennt sich Christian Dörge nach achtjähriger Zusammenarbeit von Gitarrist Andy Hägler.
Ende Oktober liest Christian Dörge in Leipzig im Haus des Buches und präsentiert u.a. die Kurzgeschichten Persephone, Der zerrissene Fisch, Tee in der Sahara und Opera 2.
Ab Januar beginnt in München in der Grammophon-Suite die Studioproduktion des neuen, sechsten Syria-Albums, welches Christian Dörge erstmals im Alleingang aufnimmt. Es entstehen die Songs The Visitors, When Night Is Falling, Meanwhile, Summer Rain, Anymore und Embrace The Darkness.
Im Februar spielt Syria in der Besetzung Christian Dörge (Gesang, Gitarren) und Jana Sedakowa (Piano) drei Konzerte - die Chocolate Box-Tour - in München, Nürnberg und Augsburg. Neben den neuen Songs Watermark, For All Tomorrow’s Lies und When Night Is Falling präsentiert das Duo dem begeisterten Publikum u.a. für Piano und Stimme um-arrangierte Versionen der Syria-Klassiker Neverland Things und In The Drift.
In Jana Sedakowas Studio in Hamburg produziert Christian Dörge die Songs Morphine (erstmals mit der Stimme von Zasu Menil), Sometimes In Winter und What You Leave Behind; im Juni nimmt er im schwedischen Halmstad im Jazz-Police-Studio die Titel Cassandra und I Hear You Breathing auf.
Im September veröffentlicht Radio Etienne ME die neue Syria-Maxi-CD Never Again sowie das Doppel-Album Yesterdays With Logical Visitors – Best Of 1993 –
2000, auf welchem 33 Titel zusammengefasst sind. Album und Maxi sind Neustart und Werkschau zugleich, nachdem Christian Dörge das einzige verbliebene Syria-Gründungsmitglied ist; beide Veröffentlichungen werden von Publikum und Presse weltweit gefeiert - geschäftlich wie künstlerisch ist das Comeback
gelungen.
Das Jahr endet mit vier England-Konzerten in Rock-Besetzung:
Christian Dörge (Gesang, Piano, Gitarren), Tim Helbig (Gitarren) und Miriam Gottlieb (Gesang) spielen eine ausverkaufte Golden State-Tour in London, Brighton,
Leeds und Birmingham; dieses Line-up wird jedoch ausschließlich für diese Tour zusammengestellt.
Im Januar beginnen Christian Dörge und Jana Sedakowa mit den Vorbereitungen zu einer europaweiten Konzert-Tournee, mit der die Veröffentlichung des neuen Syria-Albums beworben werden soll. Aufbauend auf dem Konzept der Chocolate Box-Konzerte vom Februar 2002 wird ein Programm für Gesang und Piano-Begleitung zusammengestellt.
Radio Etienne ME veröffentlicht im April die MCD Meanwhile, die sechs Titel (sowie als Bonus-Tracks Neuaufnahmen der Syria-Klassiker A Gift From Culture und Visions Of The Sea) enthält. Neben der – sehr Pop-orientierten – Album-Version des Titelsongs finden sich hier drei Meanwhile-Remixe von Kaon, Timothy Moldrey und Ralf Jesek (In My Rosary) sowie die Session-Outtakes You Don’t Know und Cigarettes And Chocolate.
Diese – gemessen an früheren Syria-Veröffentlichungen – ausgesprochen eingängige und tanzbare MCD leitet über in das neue musikalische Kapitel, welches Christian Dörge nun beinahe wie selbstverständlich öffnet: Im Mai erscheint mit Slow Night (Radio Etienne ME) das siebte Syria-Album, von Christian Dörge (Gesang, Piano, Gitarren, Synthesizer) im Alleingang aufgenommen und produziert. Nach Ausflügen ins Jazz und Chanson-Fach präsentiert sich Syria nun zeitgemäß und abwechslungsreich: urbane Beats, ständig wechselnde Klangfarben, virtuoses Gitarren- und Piano-Spiel, groovende, präsente Bassläufe – ein Album mit einem geradezu Ambient-artigen Flow und verhaltenen Gesangs-Monologen mit bitteren, ironischen, zutiefst persönlichen Inhalten. Spontan und ausgesprochen organisch vollzieht sich auf Slow Night der Brückenschlag zwischen Pop und traditioneller Dance-Culture, zwischen zarten Chanson-Perlen und kraftvollem Rock.
Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Albums – und rechtzeitig zum zehnjährigen Syria-Jubiläum - beginnen Christian Dörge und Jana Sedakowa am 23. Mai im schwedischen Halmstad die Night Moves-Tour (support: Sonya Nescier), in deren Verlauf 26 Konzerte in Deutschland, England, Frankreich, Schweden, Tschechien, der Schweiz, den Niederlanden und in Österreich stattfinden. Die Tour ist auch eine Art von paralleler Geschichtsstunde zum Phänomen Syria, denn das Konzert-Programm deckt den gesamten Zeitraum von Ozymandias Of Egypt bis zur Gegenwart ab und schließt auch Dörges Solo-Album Antiphon mit ein.
Während der laufenden Tour wird – speziell für die US-College-Radios – Meanwhile als 7“ Vinyl-Single (mit der B-Seite Embrace The Darkness) veröffentlicht.
Die Tour wird – wie auch das Album Slow Night – ein gleichermaßen künstlerischer wie kommerzieller Erfolg; das Abschlusskonzert findet am 08. November wiederum im schwedischen Halmstad statt.
Im Juli werden die Songs Cassandra und I Hear You Breathing auf dem Sampler Jazz & Text veröffentlicht.
Als zweite Single-Auskopplung aus Slow Night erscheint im Dezember die MCD Driving Music (Radio Etienne ME). Die Maxi enthält sechs Songs (plus fünf Bonus-Tracks), darunter erste Aufnahmen von der Night Moves-Konzertreihe (Live-Versionen der Songs Zerbrechlich und Somewhere in England) sowie einen außerordentlich abstrakten, dekonstruierenden Timothy Moldrey-Remix des Titelsongs. Ferner nimmt Christian Dörge für diese Kopplung den Album-Track Anymore als Extended Club-Mix auf.
Sehr umfangreich gestaltet sich auch die Bonus-Sektion der MCD: So findet sich hier eine Neuaufnahme des düster-monolithischen Songs Das Blut von Wien, der in seiner Original-Version auf dem Album Metroland II (2000) zu hören war. Die übrigen Neuaufnahmen reichen noch weiter zurück in die Band-Geschichte, waren sie doch ursprünglich auf dem 1996er Album A Gift From Culture enthalten: Untitled 1964 besticht durch gehauchten Gesang, eine ans Herz gehende Piano-Melodie und jazzige Atmosphäre; die Remixe von Sculptures, Fruits And Tea-Partys, Parts 1 & 2 versprühen auf ausgesprochen experimentierfreudige Weise morbiden Charme und wurden – wie die übrigen Neu-Interpretationen – komplett neu eingespielt. Die MCD schließt mit einem Update des dramatischen Neverland Things.
Bereits im Oktober beginnt Christian Dörge mit der Studio-Produktion der Literaturvertonung Moldavia; zunächst entstehen die Songs Eisland, Wasser und Das Herbstzimmer.
Das ausgesprochen erfolgreiche Jahr endet mit der regulären Veröffentlichung des Syria-Albums Metroland II (Radio Etienne ME) und mit der Veröffentlichung des Slow Night-Tracks Morphine auf der Compilation Art Meets Music.
Christian Dörge setzt die Arbeiten an Moldavia fort; die Produktion wird im März beendet. Unmittelbar im Anschluss bereitet Dörge unter dem Titel Lycia. Redux ein weiteres
literaturvertonendes Album vor; eine neue Buch-Veröffentlichung lässt jedoch weiterhin auf sich warten.
Im November wird die Doppel-Album-CD Moldavia (Radio Etienne ME/Apex-Verlag) veröffentlicht. Das Album enthält 38 Text-Vertonungen: CD 1 ist neuen Vertonungen vorbehalten (darunter auch die Umsetzung der Kurzgeschichte Das Haus des Orpheus), während auf CD 2 fast ausschließlich Neuaufnahmen oder Neu-Interpretationen von Titeln zu hören sind, die bereits auf den Alben Lycia (1993) und Antiphon (1996) zu hören waren, darunter Der Satyr, Weltschmerz, An der Mole, Imperialistische Logik und Süße der Sünden.
Moldavia erweist sich als ausgesprochen ruhiges, beinahe zerbrechliches Album; das Haupt-Instrument ist das Piano, und Dörges Stimme gleicht mehr einem Flüstern – sehr prägnant ragen die Stücke Purpurne Flüsse, Heidentor und Moldavia I, II und III heraus. In einer Rezension des Necroweb-Magazins heißt es: »(…)So haben die Texte im Kontext der gelungenen Kompositionen die Chance, zur Wortmalerei zu werden, ohne verständlich sein zu müssen. Dörge gelingt dies, und so dient die Lyrik in Titeln wie Rabenchor, Heidentor oder Satirische Tänzerin als Instrument im Rahmen der minimalistischen, elektronischen Klanginstallationen. Er bleibt seinen Klangfarben treu, die Musik klingt metallisch, verschleiert, unterkühlt und wirkt dabei doch gefälliger, offener (…).«
Zu Beginn des Jahres gründet Christian Dörge gemeinsam mit Karen Park im schwedischen Linköping ein eigenes Tonstudio: das Parkland-Studio. Ferner wird eine enge Kooperation mit Studios in Stockholm und Malmö etabliert.
Nachdem Slow Night eher ein Dörge-Solo-Album als ein typisches Syria-Album gewesen ist, gründet Christian Dörge gemeinsam mit den Sängerinnen Zasu Menil und Stina Suntland die Band im April neu; erklärte Absicht ist es, aus Syria wieder eine Band zu machen.
Nach ersten Demo-Aufnahmen beginnen im Mai - erstmals im eigenen Parkland-Studio - die Aufnahmen zum Comeback-Album.
Das neue Syria-Album – welches den Titel The Return Of Saturn tragen wird und als Doppel-Album konzipiert ist - folgt einem ähnlich strukturierten Muster wie Moldavia im Jahr zuvor: CD 1 präsentiert ausschließlich neues Material, während CD 2 – Subtiles betitelt – einige ausgewählte Cover-Versionen sowie Neuaufnahmen diverser Syria-Titel enthält. Dieser konzeptionelle Rahmen dient dem Zweck, Syria in der Trio-Besetzung und damit völlig neu zu präsentieren und gleichzeitig eine klar definierte Verknüpfung zu den Veröffentlichungen der Jahre 1993 bis 2003 herzustellen.
Die Aktivitäten der Band beschränken sich in diesem Jahr ausschließlich auf umfangreiche und sehr experimentierfreudige Studio-Aufnahmen.
Im Dezember entscheidet Christian Dörge, dass sämtliche kommenden Veröffentlichungen auf seinem eigenen Label Black October-Records erscheinen werden; zeitgleich unterschreibt Dörge einen Vertriebs-Vertrag bei SX-Distribution/Icare Media.
Die Produktion von The Return Of Saturn und der Bonus-CD Subtitles wird im Februar vollendet; Christian Dörge, Zasu Menil und Stina Suntland setzen die Arbeit im Studio nahtlos fort und beginnen mit dem Schreiben neuer Songs sowie mit den Aufnahmen für ein weiteres neues Album.
Gleichzeitig wird die Promotion-MCD The Mathematics Of Smoke produziert, welche die Veröffentlichung von The Return Of Saturn im Vorfeld begleiten soll; hierfür werden die Album-Songs The Mathematics Of Smoke und The Girl Who Killed Ulysses – beide gesungen von Stina Suntland – in neuen Remix-Versionen produziert. Des Weiteren enthält die MCD den exklusiven Track Lunching With The Shrike und als Ausblick auf das nächste, bereits für 2007 geplante Album die Songs Glycerine, Dark Water, Synchronized Forces und At Night Selected Writings On Kafka; der Text zu letzterem wurde von Zasu Menil verfasst.
Für das Jubiläums-Album 15 der Dark Wave-Band In My Rosary remixed Christian Dörge deren Song There’s No Light (In Cocktail Bars).
Darüber hinaus erscheint im August Dörges Erzählung Die Amok-Schleife in der Cyberpunk-Anthologie Cagliostros Spiegel.
Im Dezember schließlich veröffentlicht Black October-Records/SX-Distribution das Doppel-Album The Return Of Saturn, welches insgesamt 51 Songs enthält und mit einem völlig neuen, vom Trip Hop der 90er Jahre inspirierten Sound überrascht. Die Song-Arrangements basieren wesentlich auf analogen Synthesizern, diversen Pianos, Gitarren-Drones und Drum-Machines; häufig wurden die elektronischen Instrumente von Christian Dörge via Mikrophon aufgenommen, um einen wärmeren, oft jedoch auch verzerrten Klang zu erzielen. Als besonderer Glücksgriff erweisen sich indes Zasu Menil und Stina Suntland, die sich gesanglich geradezu perfekt ergänzen und zudem den neuen Syria-Sound entscheidend prägen.
The Return Of Saturn ist ein düsteres, ein sprödes Album, dabei zutiefst literarisch motiviert – und es wird als erstes Syria-Album nach über drei Jahren (im Musikgeschäft eine schiere Ewigkeit…) von Publikum und Presse begeistert aufgenommen. Eine Rezension des Dunkelblick-Magazins bringt es auf den Punkt:
»Ach, endlich wieder eines dieser Alben, in dem man sich herrlich verlieren kann, weil es so herrliche Klang- und Stimmungswelten entstehen lässt und dem Hörer die unterschiedlichsten Geschichten erzählt. Und das auch noch pünktlich zu der Jahreszeit, während der man aufgrund der winterlichen Temperaturen gerne mal in den Winterschlaf verfällt und sich für längere Zeit im warmen Bett verkriecht. Hatte man von der Band Syria um Bandgründer Christian Dörge in den vergangenen Jahren nicht viel gehört, so lag das daran, dass - nach dem Weggang der Sängerin Kira im Jahre 2000 und von Gitarrist Andy Hägler im Jahre 2001 - der Herr Dörge 2003 nach dem Album Slow Night und einer Europa-Tournee die Auflösung der Band bekannt gab. Nun, jetzt sind sie glücklicherweise wieder da. Gott sei Dank, denn zu schade wäre es, würde man solch ein Kreativitätspotential der Welt vorenthalten.
Mit The Return Of Saturn liefert die nunmehr wieder dreiköpfige Band ein wunderschönes Doppelalbum ab. Der Saturn ist ja bekanntlich der sechste und der zweitgrößte Planet in unserem Sonnensystem, und in der mittelalterlichen Astrologie stand Saturn (dargestellt mit Sichel oder Sense) für Unglück, Sorgen, Melancholie, Krankheiten und harte Arbeit aber auch für Ordnung und Maß. Im alten Rom war Saturn der Gott des Ackerbaus und galt zudem als Symbol des mythischen Goldenen Zeitalters, der Saturnia regna, bis er durch seinen Sohn Jupiter entmachtet wurde. Einen bedeutungsschwangeren Titel hat man also für das Album gewählt.
Auf der ersten CD desselben erwarten euch 28 neue Titel der Band, auf der zweiten CD ausgewählte Coverversionen und ältere Syria-Stücke, die aber komplett überarbeitet und in der neuen Besetzung neu aufgenommen wurden.
Alle Stücke bestechen dabei durch ihre Eigenständigkeit und finden doch wieder zu einem großen Ganzen zusammen. Mal psychedelisch abgedreht (The Mathematics Of Smoke, Delirium's Mistress), mal ruhig und eingängig (The Return Of Saturn). Die Stücke sind facettenreich, bleiben aber durchgängig einem ruhigen, melancholischen und minimalistischen Grundtenor verhaftet, der auch stellenweise mit einer Portion Gesellschaftskritik und Ironie gespickt sein darf.
Der Sound von Syria ist auf diesem Album geprägt von Dark Wave, Sythie- und Dark Electro-Klängen, die nur sporadisch durch Piano- oder Gitarrenklänge ergänzt werden oder durch bestimmte Geräuschkulissen (Smoke And Mirrors, Indécise). Gesangstechnisch sind nicht nur die beiden Sängerinnen Zasu und Stina auf dem Album zu hören, sondern auch die eingängige Stimme von Christian Dörge, wie zum Beispiel in dem Stück In The Machinery Of Eva Fairdeath. Die Band erschafft minimalistische, manchmal auch etwas sperrige, doch wunderschöne Klangwelten, die genau davon leben, dass sie eben nicht überladen wirken.
Ein wahrer Hingucker ist auch das sehr aufwändig gestaltete Booklet mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotografien voll sinnlicher Erotik.
Fazit: Ein sehr komplexes Album, welches eine karge, doch einzigartige Aura ausstrahlt. Es bedarf hier einiger Hördurchläufe, bevor sich dem Hörer die vielschichtige Welt von Syria erschließt. Aber es lohnt sich. Und ganz im Zeichen Saturns ist The Return Of Saturn eine eher melancholische Welt - jedoch voller reifer Äcker, die darauf warten vom Hörer entdeckt zu werden. Hoffen wir zudem, dass für Syria mit dem neuen Album wieder goldene Zeiten anbrechen werden.den.«
Im zweiten Jahr als Trio-Besetzung setzt sich die überschäumende Kreativität fort: So veröffentlicht Black October-Records/SX-Distribution im März die 8-Track-MCD K-Machines – wenngleich kühler im Sound, setzt Christian Dörge mit Zasu Menil und Stina Suntland das fort, was mit The Return Of Saturn begonnen wurde: Trip Hop-artige, komplexe Musik, die sich allerdings mit Songs wie Ghosts und Lithium nun wieder deutlich umfangreicherer Arrangements bedient.
Bereits im April folgt das Doppel-Album The Kafka Syndrome (Black October-Records/SX-Distribution), welches konzeptionell an The Return Of Saturn anknüpft: CD 1 enthält wiederum ausschließlich neue Songs (21 an der Zahl), CD 2 – die es auf 23 Titel bringt - bleibt Cover-Versionen und Neu-Interpretationen klassischer Syria-Titel vorbehalten – darunter The Visitors, Wake The Kings, Queen City Jazz, Elegy Of Angels And Dogs und Passage For Piano; herausragend und stilbildend ist der Rewind-Mix von Love Is A Gun, der musikalisch souverän auf Electro-Clash-Pfaden wandelt.
Mit The Kafka Syndrome hat sich Syria in der seit 2005 bestehenden Besetzung endgültig etabliert – und Christian Dörge hat es erreicht, seine Band neu zu erfinden; die Balance zwischen künstlerischem und kommerziellem Anspruch gelingt mit diesem Album auf das Vortrefflichste: Wie der Album-Titel bereits vorwegnimmt, sind einige der neuen Songs inhaltlich vom Werk des Schriftstellers Franz Kafka inspiriert, besonders wird dies bei Metamorphosis I, Metamorphosis II, Anaesthesia Winter und – natürlich – im Titel-Song hörbar. The Kafka Syndrome ist ein ganz und gar abgerundetes Album: musikalisch und textlich mit einem klaren erzählerischen Bogen versehen. Entscheidend zum Gelingen tragen die außergewöhnlichen und zutiefst individuellen (Gesangs-) Stimmen von Zasu Menil und Stina Suntland bei, die den Syria-Songs eine aufregende und bis dahin unbekannte Note verleihen.
Der Erfolg von The Return Of Saturn und The Kafka Syndrome lässt Erwartungen dahingehend aufkommen, Syria würden erstmals seit 2003 wieder auf Tournee gehen; die Band zieht es hingegen vor, weiterhin in erster Linie im Studio aktiv zu sein – und veröffentlicht im August das Mini-Album The Darkworld Detectives (Black October-Records/SX-Distribution) mit den herausragenden Stücken Sherlock H., Doktor Totenkopf und Thieves (letzterer in zwei Versionen).
Die neuen kreativen Möglichkeiten führen nun dazu, dass die Band das Wagnis eingeht, musikalische Seitenprojekte ins Leben zu rufen: Getreu der Maxime Anything Goes! werden die Projekte The Atomic Nurses und Borgia Disco gegründet; ersteres, um die Stimmen von Zasu Menil und Stina Suntland vollständig in den Mittelpunkt zu rücken, letzteres, um Christian Dörge eine noch abstraktere, kompromissbefreitere musikalische (Solo-) Plattform zu bieten. Eigens hierfür gründet Christian Dörge das Label Smart Bomb-Records; bereits ab Juli beginnen im Parkland-Studio die Aufnahmen.
Etwa zur gleichen Zeit trennt sich Christian Dörge von SX-Distribution/Icare-Media, nachdem es dort fortlaufend zu erheblichen Unregelmäßigkeiten gekommen war. Ein neuer Vertriebs-Vertrag wird sodann mit infrarot.de abgeschlossen.
Im Oktober veröffentlicht Smart Bomb-Records/Infrarot von den Atomic Nurses die Maxi-CD Short Syntax – Christian Dörge bezeichnet den Titel-Song derselben bis heute als einen der besten Songs, den er je geschrieben hat – und das Album Pyjamadrama sowie von Borgia Disco die Maxi-CD Utopia und das Album Travels In The Scriptorium.
Insbesondere die Veröffentlichungen der Atomic Nurses – auch hierfür schreibt und produziert Dörge sämtliche Songs – lassen klar erkennbar eine Dancefloor-Affinität hervortreten; Zasu Menil und Stina Suntland selbst bezeichnen ihre Musik als Documenta-Pop, als Verbindung zwischen Pop-Musik und bildender Kunst; ein weiteres Markenzeichen sind Songtexte, die sich bisweilen – wie z.B. bei Funky Schlüpfer – der deutschen und der englischen Sprache bedienen. Im Necroweb-Magazin heißt es zum Debüt: »Die beiden Akteure, welche hinter dieser jungen Formation stecken, tragen die Namen Zasu Menil und Stina Suntland. Beide dürften einigen aufmerksamen Hörern durch ihr Mitwirken bei Christian Dörges Bandprojekt Syria bekannt sein. Musikalische Parallelen zu benanntem Projekt sind zwar mitunter vorhanden, dennoch kann man The Atomic Nurses Eigenständigkeit bescheinigen. Die Musik ist rhythmusbetont, und verbunden mit Trip-Hop Elementen ist diese Art der elektronischen Popmusik durchaus interessant gelungen. Vom so genannten ätherischen Pop bis hin zu psychedelischen Klängen ist die Palette ordentlich bestückt und die trockene Produktion leistet ebenfalls neben der ordentlichen Spielzeit ihren positiven Beitrag. Neben den genannten Eigenschaften kommt hier auch die experimentelle Seite der beiden Damen zum Vorschein, sei es nun in Underwater Pleasure Seat oder dem Stück Martinis, Girls And Guns. Als Einflüsse gelten Formationen wie Massive Attack oder auch Portishead. Hervorhebenswert ist schon wie bei oben erwähnten Syria die Gesangsdarbietung, welche ich immer wieder als sehr angenehm und gelungen empfinde. Die Tracks selber werden von melodischen, einprägsamen Melodien getragen und schaffen es teilweise mühelos sich für eine gewisse Zeit im Oberstübchen festzusetzen. Besonders hervorhebenswert sind diesbezüglich der Opener Pills & Thrills oder das gelungene Trash Bazooka, vor allem ersterer ist ein Paradebeispiel für den wiederholten Gebrauch der Repeat Taste. Auch an die deutschsprachigen Freunde wurde mit 2 Tracks gedacht, wovon ich Funky Schlüpfer auch gleich als Anspieltipp angeben möchte. Bleibt zu hoffen das The Atomic Nurses den hier eingeschlagenen Weg fortsetzen, denn potentielle Hits sind allemal vorhanden. Wem dann die hier vorgestellte Veröffentlichung zusagt, dem sei noch die ebenfalls dieser Tage erscheinende Mini CD Short Syntax empfohlen.«
Christian Dörges Borgia Disco hingegen betont primär musikalische und textliche Avantgarde – herkömmliche Verse-Chorus-Verse-Strukturen sucht man hier vergeblich. Stattdessen bestimmen elektronische Effekte, Guitar-Drones und experimentelles Piano das düstere, nihilistische Klangbild. Auch Dörges Stimme wird wesentlich spröder inszeniert als bei Syria.
Durch die neue, wenngleich verbesserte Vertriebs-Situation sind die Original-Alben The Return Of Saturn und The Kafka Syndrome vorübergehend nicht mehr lieferbar; kurzentschlossen nehmen Christian Dörge, Zasu Menil und Stina Suntland das neue Studio-Album The Grotesque auf; dies Album wird Bestandteil der 4-CD-Box Not A Nice Party. A Collection, die neben dem besagten neuen Album 3 CDs mit Syria-Songs aus den Jahren 1993 bis 2006 enthält. Not A Nice Party gilt als Überbrückung, bis sämtliche Syria-Alben wieder lieferbar sein werden.
Im Februar erscheint die Syria-4-CD-Box Not A Nice Party. A Collection (Black October-Records/Infrarot), die insgesamt 76 Songs aus den Jahren 1993 bis 2007 sowie zwei umfangreiche Booklets enthält. Diese Box nimmt die anstehende Katalog-Phase der Band vorweg – und zeigt gleichzeitig die Kreativität der Band, die trotz der Side-Projekte Borgia Disco und The Atomic Nurses nicht versiegt. Das Necroweb-Magazin geht dennoch von einer bevorstehenden Auflösung von Syria aus: »Das Ende ist nahe, in diesem Fall leider für vorliegendes Projekt, welches sich hier mit einer sagenhaften 4er-CD-Box von den Hörern verabschiedet. Not A Nice Party. A Collection ist somit das Vermächtnis von Christian Dörge und Syria, einer Formation, welche aufgrund einer hohen Veröffentlichungsrate immer sehr aktiv war. Die Box beinhaltet neben dem aktuellen Werk The Grotesque noch 3 zum Bersten vollgestopfte Bonus-CDs, welche aus diversen Remixen sowie unveröffentlichten und raren Tracks bestehen. Somit darf und sollte man diese Scheiben nicht als eine Best-Of Compilation sehen, sondern wirklich als Bonus-Material, welches in den Jahren 1993-2003 entstanden ist. Dieses wiederum erschlägt den Hörer regelrecht, warten doch inklusive dem Hauptalbum 76 Tracks darauf entdeckt zu werden. Mit The Grotesque bekommt man dann auch in etwa das geboten, was man von den Künstlern erwartet. Und dennoch gibt es musikalisch gesehen leichte Änderungen. Was mit der Zeit auffällt, ist die Tatsache, dass hier verstärkt mit elektronischen Einflüssen experimentiert wird. Dies macht sich besonders bei Titeln wie Lunching With The Catgirl Ghost oder Instructions bemerkbar. Im Gegensatz zu Werken wie K-Machines oder The Mathematics Of Smoke sind die hier dargebotenen Stücke variabler, mitunter recht eingängig, weniger düster und somit lebendiger ausgefallen. Man kann nun schon fast von tanzbaren Songs sprechen, sind doch mit Zoom In! und Voodoo Highway prima Beispiele gegeben. Ihr wahres Können zeigen uns Syria mit klanglichen Perlen wie Not A Nice Party oder dem schon erwähnten Instructions, welche ich hiermit auch gleich als Anspieltipps in dieser ungeheuren Songauswahl nennen möchte. Textlich bedient man sich übrigens der deutschen und englischen Sprache, wie es die Truppe schon immer gehalten hat. Inhaltlich besteht das Spektrum der Bonus-CDs ebenfalls aus einer gesunden Mischung von Balladen, über poppige Tracks mit Trip-Hop Elementen bis hin zu diversen Hardrock-Nummern ist somit eine enorme Breitseite vorhanden. Und dennoch merkt man den Unterschied zu The Grotesque, ist dieses doch wie schon angesprochen recht variabel ausgefallen. Klar, dass bei solch einer Menge natürlich nicht nur potentielle Hits vorhanden sind, dennoch dürfte bei diesem vielfältigen Werk für jeden Geschmack etwas dabei sein.
Diese Box bzw. deren Booklets erzählen somit eine Geschichte und zeigt den Entwicklungsverlauf dieser Band und seiner Künstler auf. Für Leute, die dem Sound von Syria etwas abgewinnen können, sicherlich schon allein des immensens Umfanges wegen ein absoluter Pflichtkauf. Hiermit seien den Anhängern noch die Band The Atomic Nurses von Stina und Zasu, sowie das Borgia Disco-Projekt von Christian empfohlen, mit welchen der Sound Syrias in gewissen Aspekten durch die beteiligten Personen weiter lebt.«
Das Jahr steht weiterhin im Zeichen massiver musikalischer Aktivitäten; so vollendet Christian Dörge im Sommer sein viertes literaturvertonendes Album Lycia. Redux (Black October-Records/Infrarot); es wird im Oktober als Doppel-Album veröffentlicht. Lycia. Redux ist die Anti-These des 93er Albums Lycia – es tilgt sämtliche der von Dörge unerwünschten Gothic-Elemente und setzt 22 Songs lang ganz und gar auf Klang-Kunst und auf die vertonte Lyrik; folglich gleicht das Album eher einem Theaterstück. »(…)Dabei basiert Lycia.Redux auf dem 1993 erschienenen Album Lycia,« vermeldet das Necroweb-Magazin und fährt fort: »einer Kooperation mit den wohl bekanntesten Vertretern der Abteilung Neue Deutsche Todeskunst Tilo Wolff und Oswald Henke. Dörge war nach eigener Aussage unzufrieden mit dem starken Gothic-Einfluss auf die damalige Produktion. Er legt großen Wert auf die Feststellung, Lycia noch einmal komplett aufgebohrt und überarbeitet zu haben und Lycia.Redux somit als neues, eigenständiges Werk anzusehen sei. Dabei sollte ein unfertiger, demohafter Charakter beibehalten werden.
Ohne das ursprüngliche Lycia zu kennen, denke ich, dass dies gelungen ist. In insgesamt 22 Titeln der ersten CD spricht Dörge seine Lyrik auf eine flächige, kühle Hintergrundkomposition. Die künstlerische Gestaltung ist schlicht aber liebevoll, das Booklet enthält die Texte zu sämtlichen Titeln, wodurch sich die Hülle kaum schließen lässt. Die Bonus-CD Opera. Eine Inszenierte Lesung ist so etwas wie eine Kurzgeschichte im gleichen Vortragsstil. Intelligente Wortspiele findet man in den Texten ebenso wie Weltschmerz-Lyrik, vereinzelt eingestreute Anleihen aus der Bibel oder der griechischen Mythologie verklausulieren zusätzlich. Unter dem Strich kann man den Stil mit den Worten Dörges als “halluzinogene Verehrung der Poesie” bezeichnen. Dabei wirken die Gedichte albtraumhaft und entrückt, aber oft zu sperrig, unnötig kompliziert und werden zu monoton vorgetragen.
Ich persönlich hätte mir mehr Einsätze für Zasu Menil gewünscht, Dörges musikalischer Partnerin aus der gemeinsamen Band Syria. Zasu, die mich schon mit ihrem Seitenprojekt The Atomic Nurses begeistert hat, spricht einige Textstellen auf Lycia.Redux und schafft mit ihrer sinnlich-warmen Stimme einen interessanten Kontrast zur kalten, distanzierten Musik und den abstrakten Texten. Leider ist ihr Einsatz auf wenige Absätze begrenzt.
Fernab von den Texten, die vermutlich sehr unterschiedlich beim Hörer ankommen werden, lohnt sich ein Blick auf die Musik. Deren eigentliche Aufgabe ist es hier, den Worten eine Projektionsfläche aufzuspannen und ihre Wirkung zu unterstreichen. Dörge beweist sein Talent für unnahbare, unkonventionelle Soundtüfteleien erneut, und an manchen Stellen übernimmt die Musik die Kontrolle und treibt die Lyrik vor sich her. Gute Beispiele hierfür sind Titel wie Weißes Rauschen oder Opium, wobei letzterer für mich den Höhepunkt der CD bildet. Der knarzende Rhythmus begeistert und steckt an, die tiefschwarze Lyrik tritt für einen Moment in den Hintergrund und verschmilzt mit den Klängen.
Lycia.Redux ist eher unter der Rubrik Tonkunst einzuordnen und prädestiniert für Momente, in denen man mit sich und seinen Gedanken lieber alleine bleiben möchte. Auf jeden Fall sollte man etwas übrig haben für kantige Lyrik und schwarze Gedanken. Fans von Endraum sollten eine Hörprobe wagen.«
Im September schließlich veröffentlichen die Atomic Nurses die Maxi-CD Suicide Girls sowie das zweite (und letzte) Album The Unseen Ladies On Monitor 7 (beide Smart Bomb-Records/Infrarot). Diese Tonträger setzen mit selbstverständlicher Leichtigkeit den Documenta-Pop des Debüts fort – selbstsicher, ironisch, intellektuell versiert. Die MCD enthält sieben exklusive Songs – darunter Remixe der Pyjamadrama-Tracks The Toilet Was Full Of Nietzsche und Honesty Through Paranoia. Der Gesang beider Nurses besticht durch perfektes Harmonieren und durch bislang ungekannten, von Christian Dörges Produktion perfekt in Szene gesetzten Glanz. Dabei bleiben die Songs kalt und distanziert, wenngleich textlich mitunter Absurdität groß geschrieben wird: Du Bist Mein Duschvorhang und Die Beatles Sind Kein Akkord dürfen beispielhaft sein und als lyrische Kleinode bezeichnet werden.
Zum Album The Unseen Ladies On Monitor 7 schreibt das Necroweb: »Die Krankschwestern promovieren; nach dem beachtlichen Erstlingswerk Pyjamadrama legen The Atomic Nurses nach und präsentieren mit The Unseen Ladies On Monitor 7 ihr zweites Studioalbum. Dabei bestehen die beiden Damen Zasu Menil und Stina Suntland ihre Reifeprüfung mit bewundernswerter Leichtigkeit. Aus dem Spin-off des Bandprojekts Syria ist spätestens jetzt eine ernstzunehmende Band gewachsen.
16 Titel auf einer guten Stunde Spielzeit nehmen den Hörer mit auf eine Reise durch spacige Klanglandschaften, verspielte Electro-Beats und minimalistische Soundspielereien. Während sich das Album geschickt bei Drum’n’Bass, Electro und Trip-Hop bedient, sorgt das Zusammenspiel der Stimmen von Zasu und Stina für eine metallisch-kühle und unnahbare Atmosphäre. Der unterkühlte und streckenweise sehr verhallte Gesang verleiht der Scheibe etwas Divenhaftes, die manchmal abgedrehten Texte und Titel (Du Bist Mein Duschvorhang, Next) verstärken diesen Effekt. Gibt man dem Album ein wenig Zeit, entdeckt man bei jedem Durchgang neue Facetten und interessante Zwischentöne.
Und auch wenn Songs wie Cyberia oder California Cult Crap ordentlich grooven, dürfte The Unseen Ladies On Monitor 7 zu verkopft für die meisten Tanzflächen sein. Vielmehr haben The Atomic Nurses den perfekten Soundtrack für eine coole Vernissage oder die nächtliche Autobahnfahrt von Berlin nach Hamburg abgeliefert. In jedem Fall steckt in jedem der 16 Songs genügend Potential für lang anhaltenden Hörspaß. Uneingeschränkt empfehlenswert!«
Christian Dörge lässt es im Februar mit den neuen Borgia Disco-Veröffentlichungen – der E.P. Atomic und dem Doppel-Album Conversations With The Iron Orchid (beide Smart Bomb-Records/Infrarot) wiederum deutlich experimenteller angehen: Es herrscht elektronische Eiszeit, spröde und lyrisch anspruchsvoll – Songs wie Andromeda, My Drug und The Algebra Of Ice verdeutlichen Dörges Streben nach Distanz, nach introspektivem Künstler-Dasein. Später räumt er allerdings ein, es mit der Unzugänglichkeit an diesem Punkt seines musikalischen Schaffens auf die Spitze getrieben zu haben.
Im März erscheint – begleitet von der E.P. First Person Shooter – das Syria-Doppel-Album The Learner’s Dictionary Of Style – Best Of 2005 – 2009, vol. 1 (Black October-Records/Infrarot), welches 44 Songs aus der betreffenden Band-Phase zusammenfasst; somit wird das Material der Alben The Return Of Saturn und The Kafka Syndrome (plus der assoziierten Singles/Maxis) wieder lieferbar. Im Oktober folgt sodann das Doppel-Album The Return Of The Cybernauts - Best Of 2005 – 2009, vol. 2 (Black October-Records/Infrarot). Das Necroweb-Magazin schreibt: »Syria ist anders. Das kann man im Grunde schon als Fazit sehen, allerdings völlig wertungsfrei. An The Return Of The Cybernauts – Best Of 2005-2009, vol. 2 muss ich anders herangehen als an ‘normale’ Reviews. Denn Syria passen in kein Genre.
Hinter Syria steckt der Kreative Christian Dörge, der ja auch solo sehr eigene Musik macht. Es werden so extrem viele Elemente in ihrer Musik vereint, dass eine vollständige Aufzählung hier jeden Rahmen sprengen würde. Es gibt kaum ein elektronisches Genre, das nicht zumindest teilweise mit einbezogen wurde.
Dabei schaffen Syria das nahezu Unmögliche: Sie behalten trotzdem Wiedererkennungswert und schaffen es trotz der vielen Experimente, eine klare Linie auf ihren CDs zu erhalten. Hierfür sorgen insbesondere die markanten Stimmen von Zasu Menil und Stina Suntland und natürlich die von Christian Dörge.
Auf The Return Of The Cybernauts – Best Of 2005-2009, vol. 2 einzelne Songs anzusprechen, fällt schwer. Das liegt zum einen daran, dass diese Doppel CD 44 Songs beinhaltet und zum anderen ist im Grunde jedes Stück interessant genug, um darüber zu schreiben. Ich probiere es trotzdem mit einer kleinen Auswahl:
Als erstes möchte ich mich mit Gold beschäftigen. Der vierte Song kommt dem Freund elektronischer Musik sicherlich bekannt vor. Ist er auch, denn auch Klee hat dieses Stück im Programm. Mir war es leider nicht möglich, zu eruieren, wer hier von wem gecovert hat. Beide Interpretationen klingen auf jeden Fall sehr ähnlich. Die vorliegende von Syria ist definitiv sehr viel experimenteller, gefällt aber.
Gibt es elektronischen Jazz? Wenn ja, ist Nachts Im Nebel An Der Themse definitiv diesem Genre zuzuordnen. Scheinbar willkürlich reihen sich hier Klänge aneinander, die von einem recht depressiven und stark mit Hall modifizierten Gesang zusammengehalten werden. Trotzdem schaffen es Syria, dass dieses Stück den Hörer fesselt. Ein weiteres Phänomen ist die Tatsache, dass Nachts Im Nebel An Der Themse mit jedem Durchlauf strukturierter wirkt.
Sehr spannend ist auch Das Gläserne Wort. Hier wird eher erzählt denn gesungen; das Ganze auf einem Bett von extrem düsteren Klängen. Auch hier ist im ersten Moment keine klare musikalische Linie, Melodie oder ähnliches zu erkennen, da auch der Rhythmus stets wechselt. Jedoch erkennt man das ‘System’, nach dem dieses Lied funktioniert recht schnell. Das Gläserne Wort hat einen weiteren spannenden Faktor: Es entwickelt sich weiter, und zwar vom Anfang bis Ende. Ständig kommen neue akustische Elemente hinzu, andere verschwinden. Das macht diese Nummer sehr spannend.
Syria ist anders. Das hatte ich bereits am Anfang festgestellt. Es ist extrem schwer, diese Musik zu bewerten, da ich hier wesentlich subjektiver werden muss als sonst. Ich persönlich bin sehr offen für Experimentelles, und dementsprechend gut gefällt mir Syria. Wer mit neuer, unbekannter, absolut nirgends einzuordnender Musik nichts anfangen kann, sollte besser die Finger davon lassen.«
Ab August werden im Parkland-Studio und im Magic Harmonix-Studio neue Syria-Songs aufgenommen.
Darüber hinaus beginnt Christian Dörge mit der klanglichen Aufbereitung seines Archivs und veröffentlicht ab Oktober Schritt für Schritt seinen musikalischen Back-Katalog: Doppel-Alben, die neben den re-masterten Original-Alben noch Demos, Outtakes etc. aus der jeweiligen Phase sowie aufwändige, bis zu 48seitige Booklets enthalten: Den Anfang machen die Doppel-Alben – allesamt erschienen bei Black October-Records/Infrarot – Metroland. The Complete Picture und Slow Night – Expanded & Re-Mastered.
Im November werden die Aufnahmen zum zehnten regulären Syria-Album beendet.
Das dritte Borgia Disco-Album 20th Century Ghost (Smart Bomb-Records/Infrarot) wird im Februar veröffentlicht. Es enthält 15 neue Songs aus Christian Dörges Feder, die allesamt wesentlich zugänglicher, harmonischer geraten sind als dies bei den vorangegangenen Borgia Disco-Veröffentlichungen der Fall gewesen ist. Im Dark Heart-Magazin heißt es dazu: »Borgia Disco ist ein Musikprojekt des genialen Masterminds Christian Dörge (Syria). Nach einigen Veröffentlichungen folgt nun das neue Werk des Ausnahmekünstlers. Das neue Album 20th Century Ghost ist eine Weiterentwicklung dessen, was mit dem Debüt-Album Utopia seinerzeit begann. Christian Dörge zeichnet mit seinen musikalischen Mitteln hier ein elektronisch düsteres Bild des 20th Century Ghost - ein Versuch, den Geist einer Epoche musikalisch zu erfassen, die heute für uns schon abgeschlossen scheint, uns aber immer noch beeinflusst. Mit seiner Mischung aus Pop, Elektronik und Wave erschafft Borgia Disco ganz eigene traumhafte musikalische Welten, die in Liedern wie Pink Water, Doctor X oder 20th Century Ghost ihren musikalischen Höhepunkt finden. "I`m crossing In The dark - Like A dream - I`m the Sound Of A Clock - I`m with depressing girls" Dieses Zitat aus dem Titelsong des Albums zeigt am besten die Stimmung des ganzen Albums, die zwischen süßlichem Weltschmerz und existenzieller Kälte hin und her pendelt - eben wie eine Uhr im Nirgendwo einer längst vergangenen Zeit. Mit 20th Century Ghost gelingt es Christian Dörge musikalisch an seine großen Erfolge der Vergangenheit anzuknüpfen. Eine der interessantesten Selbstreflexionen der letzten Jahre. Fazit: Prädikat besonders wertvoll!«
Im Anschluss an die Veröffentlichung von 20th Century Ghost beendet Dörge das Projekt Borgia Disco.
Mit großem Aufwand veröffentlicht Black October-Records/Infrarot im Mai das Mini-Album Me, White Noise und das Album Sixties Alien Love Story, und es zeigt sich überdeutlich, wie gut sich die Side-Projekte auf Syria ausgewirkt haben – stilistisch überzeugen beide Tonträger durch noch größere Vielfalt, gleichzeitig jedoch durch größtmögliche inhaltliche und klangliche Homogenität. Neue Einflüsse – wie z.B. Goa und Trance – verschmelzen mit literarturverliebten Texten zu einem psychedelischen, elektronischen Gesamtkunstwerk; Stilmittel, die für die folgenden Syria-Alben von größter Wichtigkeit werden sollen. Das Necroweb schreibt in seiner Rezension: »Syria ist keine Musik für jedermann. Man sollte schon ein Faible für extrem experimentelle Klangwelten haben, wenn man sich entscheidet, sich mit dieser Band zu befassen. Ist man jedoch für genau diese Art der Musik offen, so bietet Syria einem eine ganze Menge. So auch auf dem Album Sixties Alien Love Story.
Direkt zu Anfang wird der Hörer erst einmal komplett verwirrt. Was hat es mit dem Opener Spice Planet auf sich? (…) Viele Fragen stellen sich. Diese werden im weiteren Verlauf des Tracks allerdings beantwortet. Je länger das Stück läuft, desto sinniger erscheint es einem, auch wenn es sich nicht wirklich verändert. Zwar durchlebt Spice Planet eine phasenweise Evolution, diese passiert jedoch in kaum wahrnehmbaren Schritten. Insgesamt ist Spice Planet allerdings ein extrem passender Einstieg in dieses Album, da es die experimentelle Komponente äußerst dekadent auslebt.
Weitaus geordneter geht es im folgenden Me, White Noise weiter. Diesem Titel kann man beinahe Ohrwurmqualitäten zusprechen, da die Vocals sehr eingängig sind und auf einem strukturierten Soundteppich liegen. Die Beats, welche die Basis von Me, White Noise bilden, sorgen für eine gewisse Harmonie und halten die anderen Sounds in einem doch recht stimmigen Geflecht zusammen.
Auch The Secretary ist eigen. Der kurze Intro-Part irritiert ziemlich, doch ist auch hier mit dem Einsatz der Beats für akustische Ordnung gesorgt. Dieser Beat dominiert dann auch das weitere Geschehen. Die Vocals sind eher im Hintergrund platziert, aber dennoch gut wahrnehmbar. Geradezu spartanisch werden einige Synthie-Sounds eingefügt und bilden auf der pumpenden Basis ein minimalistisches aber dennoch fragiles Klanggerüst. The Secretary ist eine spannende und durchaus tanzbare Nummer.
Enden tut dieses Werk wie es begann. Zeitgeist ist zunächst nichts anderes als scheinbar zusammenhanglose Soundschnipsel und Vocalfragmente. Diese ergeben jedoch mit jeder Sekunde, die verstreicht, immer mehr Sinn und sind durchgehend spannend. Auch verstehen es Syria sehr gut, den Hörer zu fesseln und in diese Klangwelt eintauchen zu lassen. Ein passender und angenehm chilliger Abschied aus einem wirklich guten Album.
Wer keine Experimente mag und die Musik, welche er hört, in eindeutige Schubladen sortieren will, sollte einen großen Bogen um Syria machen. Wer jedoch offen für Neues ist, sollte sich dieses Album auf jeden Fall besorgen und reinhören. Für Syria braucht man vor allem zwei Dinge: Zeit und die Bereitschaft, sich voll und ganz auf die Musik einzulassen. Kann man beide Bedingungen erfüllen, so ist es ein Leichtes, hier eine Menge Freude zu haben. Ich gebe Sixties Alien Love Story gerne acht Punkte, wobei ich anmerke, dass ich persönlich sogar eine zehn für angemessen halte. Ich denke jedoch, dass Syria nicht jedermanns Sache ist und lasse die Zahl acht daher eine kleine Mahnung sein.«
Mit der Veröffentlichung des Doppel-Albums Analog (Black October-Records/Infrarot), welches in zwei verschiedenen Versionen im September erscheint, setzt Christian Dörge zudem seine literaturvertonende Spoken-Words-Arbeit fort – und dies versierter als je zuvor. Analog widmet sich düsterer, schmerzhafter Literatur und einer an das Frühwerk von Philip Glass gemahnenden Klangsprache, mit einem prachtvollen, dicht gewebten Netz aus unzähligen musikalischen und lyrischen Filtern. Dörges vertonte Literatur verweigert sich den traditionellen, rein musikalischen Werten – stattdessen hört man auf Analog zwischen lyrischen Exzessen fraktale Klänge, die das Mathematische mit dem Mystischen legieren; literarisch organisierte, sinistre, quasi-außerirdische Kultursplitter. Kurzum: ein Meisterwerk.
Zum Jahresende veröffentlicht Black October-Records/Infrarot
weitere Katalog-Doppelalben: A Gift From Culture – Expanded & Re-Mastered und The Bohemian Sky. A Collection von
Syria sowie die Werkschau-Doppelalben Lost In The Supermarket 2006 – 2010 (The Atomic Nurses) und The Reflecting Skin 2006 – 2010 (Borgia Disco); beide Compilations werden durch neue Songs ergänzt: für Borgia Disco nimmt Christian Dörge die Songs End Of Days und Lucretia My Reflection (eine
Electro-Clash-Cover-Version des Sisters Of Mercy-Klassikers), für die Atomic Nurses werden sie Songs Your Electronic Dress und No Cigarette For Harry produziert.
Nachdem Stina Suntland 2010/2011 für ein Jahr pausiert, nehmen Christian Dörge und Zasu Menil neues Syria-Material als Duo-Besetzung auf. In viermonatiger Studio-Arbeit entstehen das Mini-Album Spinning Nitrate sowie das überragende Album American Gothic – von Christian Dörge als »mein Cyberpunk-Album« bezeichnet, verortet irgendwo zwischen Philip K. Dicks künstlicher Intelligenz, William Gibsons monochromen Nichträumen und Samuel Delanys Foucault’scher Mikropolitik bohemischer Gruppen. Das Non-Pop-Magazin fasst zusammen: »Erstmals als Duo (ohne Stina Suntland) aufgenommen, trägt es den (wahrscheinlich dem Humor seiner Macher geschuldeten) Titel American Gothic und widersetzt sich schon allein dadurch den klassischen Marketingmechanismen. Denn wer sich auf den Titel verlässt, der wird bitterlich enttäuscht werden. Hier gibt es nichts weniger als Gothic zu hören. Vielleicht eine klein wenig düster-mystifizierte Attitüde, aber ansonsten erwartet einen ein Konglomerat aus Dance- und Industrialversatzstücken, die mitunter verwirrend zusammengemischt, aber trotzdem (oder gerade deswegen) immer sehr interessant anzuhören sind.
„Ein obskures, von 80er- und 90er-Jahre-Tanzmusik infiziertes Statement“ nennt es das Release-Info. Und tatsächlich marschieren Syria diesmal sehr in Richtung Tanzbarkeit. Mit gut gewählten Loops schnuppert man Club-Luft – wenngleich das wie etwa bei dem Instrumental A Tree Grows In Trinity mit seinem 90er-Jahre-Großraumdisco 4-to-the-floor-Beat auch ein bisschen des Guten zu viel sein kann. Trotzdem gelingen Syria auf diesem Album die Spagate zwischen Anspruch und eingängiger Simplizität noch besser als auf ihren bisherigen Veröffentlichungen. Das Experimentale ist clever eingebettet, das Abseitige angenehm aufgehübscht. Offensichtlich haben sie ihre Nische inzwischen fest im Griff und können daher ganz entspannt ihrer Anything-goes-Mentalität frönen.
Wie immer gibt es keine Kompositionen im herkömmlichen Sinne zu hören, sondern eher ausgiebige Produktionen (oder Soundtracks), denen erst die von Christian Dörge und/oder Zasu Menil im Sprechgesang vorgetragenen Texte eine Art Strophe-Refrain-Struktur verleihen. Gerade beim von Zasu allein getragenen We're Photons fühlt man sich damit wunderbar an die alten Algebra Suicide oder Chris&Cosey erinnert. Und ebenfalls wie immer spielt natürlich die Lyrik an sich eine immanente Rolle im Syria-Kosmos. Mit kryptisch verkapseltem Wortgefühl werden Surrealismus und Innerlichkeit beschworen – was sicherlich mit ein Grund ist, weshalb Syria in Gothic-Kreisen trotz musikalischer Andersartigkeit gerne goutiert werden.
Insgesamt ein Album, das sich erfrischend wenig um Konventionen schert und jedem an Herz gelegt sei, der nach etwas Originärem sucht. Und einer kleinen, intellektuellen Spielerei nicht abgeneigt ist.«
Anschließend findet Christian Dörge noch die Zeit, das Literatur-Album Apotheosis (Black October-Records/Infrarot) aufzunehmen, welches im Oktober – wie schon sein Vorgänger Analog – in zwei Versionen jeweils als Doppel-Album veröffentlicht wird. Apotheosis definiert das referenzielle Kunstverständnis sowohl von Christian Dörge als auch von Zasu Menil, die auf dem Album stimmlich sehr präsent ist: Man sieht und hört eine im winterlichen Zwielicht liegende, elektronisch-verschneite Landschaft; kahle Bäume aus retro-futuristischen Sendeanlagen, die sich zu Eis erstarrt im All drehen, bilden einen Kunst-Werte verströmenden Kontrast zum glitzernden Weiß des Schnees: die poetische Annahme des Non-Realen.
Wiederum schließt das Jahr mit einer Katalog-Veröffentlichung: dem Syria-Doppel-Album Planet Of The Tapes. A Collection, welches allerlei Demos, ‚lost‘ Tracks und Outtakes enthält.
Stina Suntland kehrt im Januar zu Syria zurück. Gemeinsam beginnen nun die Aufnahmen zum zwölften und letzten Syria-Album – Flower Mercy Needle Chain -, die im August abgeschlossen werden. Es entsteht ein Doppel-Album mit 23 Songs, welches die mit Sixties Alien Love Story begonnene und mit American Gothic fortgesetzte Alben-Trilogie vollendet und nach fast 20 Jahren das Kapitel Syria abschließt. Dadurch und mit der Liebe zur Peripherie des artifiziellen Cyber-Kosmos lässt sich rechtfertigen, wie selbstreferenziell Syria auf ihrem Swansong-Album eine typische Chanson-Melancholie ins leicht Desolate übersteuern. Mit diesem Album – welches am 21. September via Black October-Records/Infrarot veröffentlicht wird – lösen Christian Dörge, Zasu Menil und Stina Suntland ein, was Syria seit 1993 seinen Zuhörern verspricht: einen eigenen Standpunkt zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu entwickeln – mit leicht außerirdischen Sounds, in sehnsüchtigen Siebener Akkorden, und mit Tönen, von denen man zwar weiß, dass sie durch Saiten und Tasten entstanden sind, aber nicht wie.
Flower Mercy Needle Chain schließt mit einer
wunderbaren, von Christian Dörge und Zasu Menil gesungenen Cover-Version des Abba-Songs Like An Angel Passing Through My
Room; ein denkbar angemessenes Schluss-Kapitel im Buch Syria.
Das Jahr steht ansonsten ganz im Zeichen weiterer Christian Dörge-Katalog-(Wieder-)Veröffentlichungen via Black October-Records/Infrarot: Im Mai erscheint das Doppel-Album Tristana 9212, welches neben aufwändigen Neu-Interpretationen von Songs, die ursprünglich auf den Alben Lycia und Moldavia zu hören waren, auch diverse restaurierte Aufnahmen von Christian Dörges Debüt-Album Anonymus enthält. Im April folgt das Album Lycia. Redux – Expanded & Re-Mastered sowie im Dezember Antiphon – Definitive-Edition und Lycia – 20th Anniversary-Edition. Dem Syria-Katalog wird im August das Doppel-Album Sixties Alien Love Story – Expanded & Re-Mastered hinzugefügt.
Im Januar veröffentlicht Black October-Records/Infrarot die Maxi-CD Mountain Of Skullz und das Doppel-Album Broken Mirror Glass des US-amerikanischen Schriftstellers und Sängers John Shirley – von Christian Dörge aufwändig gemastert und kuratiert.
Der Syria-Alben-Back-Katalog wird im März mit dem Doppel-Album American Gothic – Expanded & Re-Mastered komplettiert.
Im Juni veröffentlicht Christian Dörge sein erstes Post-Syria-Album On Glass (Black October-Records) – wiederum unter Mitwirkung von Zasu Menil und Stina Suntland.
On Glass enthält 17 neue Songs und verknüpft sämtliche musikalischen und lyrischen Aspekte, derer sich Christian Dörge auf seinen Alben stets bediente: avantgardistischen Pop (Coffee With Kafka, Sad Cypress), vertonte Literatur (Der Atem und das Absurde, Tilda Swinton schläft im Museum Of Modern Art), Carnival Of Light-Collagen (Angel Express) und Ambient-artiges (Black Sunday Afternoon). Höhe- und Schlusspunkt des Albums ist der von Zasu Menil in Mundart vorgetragene Song Ziachorgler.
Darüber hinaus verstärkt Christian Dörge seine literarischen Aktivitäten: Er beginnt mit der Zusammenstellung einer Werkausgabe seiner Texte der Jahre 1988 bis 2013 und nimmt die Arbeiten an der Anthologie Chrome Invader sowie an dem Cyberpunk-Roman Renaissance auf.
Die Aktivitäten von Black October-Records werden derweil ausgeweitet: Christian Dörge veröffentlicht – erstmals digital – auf seinem Label im Dezember das Mini-Album Another Million Dollars von James Ray (James Ray And The Performance / James Rays Gangwar).
Ab November nimmt Dörge im Parkland-Studio/Linköping und im Ghostwood-Studio in Reykjavik neue Songs auf.
Aufgrund der immer unkontrollierbarer wuchernden Raubkopien von Black October-Records-Alben (besonders in Ländern wie Russland, Polen, Mexiko und Peru) und der zunehmenden Anzahl illegaler Downloads, reagiert Christian Dörge mit einem drastischen Schritt: er nimmt zeitweise sämtliche physikalischen Tonträger vom Markt. Diese Alben werden jedoch umgehend digital wiederveröffentlicht.
Sein bisher experimentellste Album veröffentlicht Christian Dörge im Februar: The Sound Of Snow (Black October-Records). Hier stehen mehr denn je das klangliche Experiment, die musique concrète und die lyrische Wort-Kunst im Fokus – besonders bemerkenswert ist die Tannöd-Trilogie, die wiederum von Zasu Menil in Mundart vorgetragen wird. Im März setzt das Mini-Album American Life (Black October-Records) diesen Ansatz konsequent fort – Musik als reinste Avantgarde, die zugleich mit einer aus den Rahmen fallenden Cover-Versionen verblüfft (Top Gun Anthem).
Zeitgleich wird eine um zwei Songs erweitererte Version von On Glass digital veröffentlicht.
In London – im Orinoco-Studio – schreibt Christian Dörge ab April Songs für ein neues Album.
Im Juni veröffentlich Black October-Records das Album Spanish Cadillac Selected von James Ray – eine mit 84 Songs detailverliebt bestückte und mittels eines 78seitigen Booklets von Christian Dörge vorbildlich kuratierte musikalische Anthologie.
Ebenfalls im Juni wird John
Shirleys Maxi-CD Mountain Of Skullz (Black October-Records) digital wiederveröffentlicht.
Im Januar veröffentlicht der Apex-Verlag Christian Dörges umfangreiche Werkschau Kopernikus 8813 - darin enthalten sind (wie im Werktitel bereits angedeutet) Prosa, Theaterstücke und Lyrik von Christian Dörge aus den Jahren 1988 bis 2013, ein Essay des Schriftstellers Marc Degens sowie ein Vorwort des Autors.
Im Februar folgen - ebenfalls im Apex-Verlag - Dörges Theaterstücke Hamlet-Monologe und Macbeth-Monologe veröffentlicht.
Zur gleichen Zeit erscheint bei Black October-Records nach einer Produktionsdauer von acht Monaten, Christian
Dörges neues Doppel-Album Cyberpunk; aufgenommen im Londoner Orinoco-Studio und abgemischt in den Parkland-Studios in Linköping/Schweden enthält Cyberpunk 14
neue Songs aus Dörges Feder - Mitwirkende an dem Album sind neben Christian Dörge noch Zasu Menil und Stina Suntland. Cyberpunk setzt die mit On Glass und The Sound Of Snow begonnene künstlerische Linie fort: Alien Pop, experimentelle Klangcollagen, anspruchsvolle
Song-Texte, welche den literarischen Cyberpunk der 80er Jahre mit dem Theater der Postmoderne und avantgardistischer Lyrik verknüpfen.
Im August veröffentlicht Black October-Records den gesamten musikalischen Katalog von Christian Dörge - einschließlich der Alben On Glass, The Sound Of Snow, American Life und Cyberpunk - als aufwändige CDs und beendet damit die kurze Periode, während der die Alben Dörges ausschließlich als Download erhältlich waren.
Im April veröffentlicht der Apex-Verlag das von Christian Dörge inszenierte und produzierte Kurz-Hörspiel Das Orakel (nach der literarischen Vorlage von Horst Landau). Als Sprecher sind Zasu Menil, Claudia Limbrock und Christian Dörge zu hören. Das Hörspiel ist in der Reihe Apex Audio als Download und als CD erhältlich.
Gemeinsam mit dem Schriftsteller Ronald M. Hahn schreibt Christian Dörge den Roman Der Monolith - dieser Roman schließt die legendäre, von Thomas Ziegler in den 1980er Jahren veröffentlichte (jedoch unvollendet gebliebene) Space-Opera-Serie Flaming Bess ab. Der Monolith geht dabei über eine einfache Fortsetzung hinaus: Der Roman ist ebenso eine Hommage an den Autor Thomas Ziegler (alias Rainer Zubeil). Das E-Book mit dem Titel Flaming Bess: Der Monolith wird im Mai vom Apex-Verlag veröffentlicht.
Spectropia Suite ist der Titel von Christian Dörges erster englischsprachigen Cyberpunk-Novella, die der Apex-Verlag im August als E-Book und als Audio-Book (gelesen von Claudia Limbrock) veröffentlicht.
Im selben Monat erscheint - anläßlich des 25jährigen Jubiläums der Ur-Aufführung - Dörges Drama Das Gefängnis als illustriertes E-Book im Apex-Verlag.