The Making Of -  ANONYMUS

(*English version below)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Künstler: Christian Dörge.

Album-Titel: Anonymus.

Format: Album-CD.

Aufgenommen von Juni 1992 bis August 1992.

Tonstudio: Klangwerk-Studio, Marburg (Deutschland).

Besetzung: Christian Dörge (vocals, piano, synthesizers, guitars, programmings),

Michi 'Smoking Ace' Renninger (add. drums), Nadine Wenzel (virtual sanity).

Produziert von: Christian Dörge.

Toningenieur: Michi 'Smoking Ace' Renninger.

Abgemischt von: Christian Dörge.

Veröffentlicht: November 1992.

Plattenfirma: Signum-Verlag.

 

Tracks:

1. Philister

2. Gift

3. …Abfackeln!

4. Flut I

5. Träume in blauen Wassern

6. Kopf im Eis

7. Anonymus

8. Flut II

9. Napalm-Gott

10. Flut III

11. Der Kult

12. Tod/Death

 

 

 

 

Ich vermag mich nicht mehr daran zu erinnern, wer eigentlich auf die Idee gekommen ist, ein Album aufzunehmen... um ehrlich zu sein: Meine Idee war es gewiss nicht. Wissen Sie, damals war ich als Autor von Romanen und Erzählungen tätig, als Lyriker, Bühnenschauspieler und Theater-Regisseur... es bestand überhaupt keine Notwendigkeit, darüber hinaus eine Karriere als Musiker anzustreben. Dennoch war ich schon damals (im Jahr 1992) vom Musiktheater enorm fasziniert, und die Idee, ein Musiktheater-Album aufzunehmen, schien zumindest... vielversprechend zu sein. Um das gängige Klischee zu bemühen und zu bestätigen: Ich hatte nicht die geringste Ahnung von dem, was mich erwarten würde, und ich habe es dennoch gewagt...

 

Die Aufnahmen zu Anonymus – meinem ersten Album, auf dem ich meine lyrischen Werke vertonte – fanden in demselben Studio statt, in welchem ich seit 1989 die Musik (oder zutreffender formuliert: die Klang-Experimente) für meine Bühnenstücke produziert hatte: im Klangwerk-Studio in Marburg/Lahn, einer schönen kleinen Universitätsstadt in der Mitte Deutschlands. Ursprünglich war geplant, den Lyriker Mirko Boucsein (wir arbeiteten Anfang der 90er Jahre an einem Buch mit dem Titel Philister und veranstalteten zahlreiche gemeinsame Lesungen) in das Projekt miteinzubeziehen, aber dazu kam es aus irgendwelchen Gründen nicht... sehr zu meinem Bedauern. Das Studio selbst war ein gemütlicher, überschaubarer Ort (zwei Stockwerke über einem Plattenladen für 60er-Jahre-Musik gelegen), voll von staubigen Teppichen, jeder Menge Technik und einer Vielzahl elektronischer Instrumente, dominiert von einem 24-Kanal-Mischpult. Das Highlight war jedoch zweifellos ein Steinway-Flügel O-180 (gebaut im Jahre 1911), dem diverse schwarze Tasten fehlten und der auch aus anderen Gründen nur bedingt einsatzbereit war (was mir resp. meinem künstlerischen Ansinnen im Grunde durchaus gelegen kam).

 

Also wählte ich einige Lyriken aus meinen Büchern aus und begann auf der Grundlage dieser Texte damit, ernsthaft über die ganze Sache nachzudenken – und als (technokratische) Recherche für Anonymus beschäftigte ich mich mit dem Wie von Industrial-Musik, mit verzerrten, übersteuerten Klängen, die um Drum-Machines, Piano-Loops und Tape-Echos herum konstruiert und komponiert wurden. Während der ersten zwei Wochen im Studio habe ich immens viel Musik geschrieben – vor allem die Flut-Parts, die den Kern des Albums bilden, entstanden in dieser Anfangs-Phase. Die Texte, die ich für die Vertonung am geeignetsten hielt, waren düster, manchmal geradezu aggressiv – vor allem Napalm-Gott und Schwarzes Blei -, und diese Abseitigkeit wurde letztlich zum 'Kammerton' des gesamten Albums. Ich versuchte mich daran, Sounds zu zerstören, alles zu manipulieren, was aus den Maschinen kam – mit dem Ziel, einen Sound wie einen Sturm aus Asche, einen Sound wie ein dunkleres Glitzern zu kreieren. Einige Songs wurden auf einem Korg SV1-Piano geschrieben – keine Displays, keine LEDs, kein Touchscreen: ein echtes Instrument, kein Computer; klassisches Klavierspiel, systematisch zerstört und verfremdet. Zur Sequenzer-Programmierung verwendete ich eine frühe Cubase-Version (unter Zuhilfenahme eines Atari-1040-STF-Computers samt Schwarz-Weiß-Monitor); um besondere Verzerrungen und Übersteuerungen aufzunehmen, verwendete ich meine allererste E-Gitarre – eine Gibson ES-135, die leider im Laufe der Jahre (irgendwie, irgendwo) verlorengegangen ist.

 

Das größte Geschenk während der Aufnahme-Sessions war Michi 'Smokin'Ace' Renninger, der das Album als Toningenieur betreute. Er ermutigte mich, das Album selbst zu produzieren und mindestens zehn (z. T. völlig gegensätzliche) Ideen in die Form eines einzigen Songs zu zwingen. Ich denke, die Liste seines Anteils an dem Projekt ist sehr, sehr lang – Anonymus hätte ohne ihn nie das Licht der Welt erblickt. Er führte mich in einen musikalischeren und weniger klangbausteinartigen Stil ein – stets am Rande des (freilich kontrollierten) Wahnsinns und der (fokussierten) Genialität wandelnd.

 

Alles in allem habe ich sechs Wochen für die Aufnahmen und eine Woche für das Abmischen benötigt, um Anonymus zu vollenden. Das Mastering des Albums wurde in einem Studio in Hamburg/Deutschland erledigt (Ende August 1992, wenn ich mich recht entsinne), und Anfang September 1992 präsentierte ich das Ergebnis meines Wirkens & Werkelns jener Plattenfirma, die mich vor ein paar Wochen unter Vertrag genommen und somit gewissermaßen 'die Katze im Sack gekauft' hatte. Aber – der A&R-Mann der Firma mochte Anonymus überhaupt nicht. »Zu anspruchsvoll, zu akademisch, das versteht kein Mensch!«, ließ er sich vernehmen. Und er gab mir den guten Rat: »Mach es simpler, mehr im Gothic-Stil!« Daraus ließ sich für mich unschwer ableiten, wie wenig die mir vertraglich zugesicherte völlige künstlerische Freiheit in der Praxis bedeutete.

 

Nun ja.

 

Gewiss hatte ich keineswegs die Absicht, das Material zu überarbeiten – denn ich war überzeugt, dass das Album perfekt war; dadaistisch, aber perfekt. Es bildete meine Art ab, 'den Job' zu erledigen und sämtliche vergleichbaren Künstler von meiner Tür fernzuhalten. Schließlich veröffentlichte ich es im November 1992 über den Signum-Verlag (wo seit 1987 meine Bücher erschienen sind) und erntete begeisterte Kritiken, aber meine Plattenfirma war (behutsam formuliert) nicht besonders amüsiert über diese Veröffentlichung und ließ bereits die Anwälte warmlaufen. Um des lieben Friedens willen stellte ich den Verkauf des Albums ein... und in den 90er Jahren ging das Master-DAT in den Archiv-Gewölben der Plattenfirma verloren. Mein Anwalt brauchte Jahre, um es schließlich doch noch in die Finger zu bekommen.

 

2011 schickte mir die Plattenfirma das DAT zurück, allerdings war es stark beschädigt (es war offenkundig höchst nachlässig gelagert worden). Möglicherweise besteht die Chance – mit der Technologie der (relativen) Gegenwart –, das DAT wieder vollständig hörbar zu machen und zu 'retten'; wir werden sehen.

 

Rückblickend war es eine großartige Erfahrung, Anonymus zu schreiben, zu komponieren und aufzunehmen – die Wochen im Studio waren definitiv eine inspirierende, kunstvolle Zeit mit viel Spaß, großem Elan und einem zarten Donnergrollen in der Ferne. Ich ging jeden Abend aus und trieb mich nächtelang in den Bars und Cafés herum, was ich noch nie zuvor getan hatte und auch später nicht mehr getan habe. Ich fand mich in allen möglichen verrückten und wunderbaren Situationen wieder... zweifellos ein guter (und angemessen hedonistischer) Start für meine Karriere als Musiker, wenngleich ich einige höchst unerfreuliche Gepflogenheiten der Musik-Industrie zu bemerken nicht umhin kam.

 

Album Nr. 2 (erschienen 1993) schließlich würde tatsächlich deutlich anders sein, deutlich zugänglicher, gleichwohl durchdrungen von allerlei (weit schwerwiegenderen) Problemen... aber das ist eine andere Geschichte.

 

 

 

Christian Dörge,

- München/Deutschland, August 2024


The Making Of -  ANONYMUS

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Artist: Christian Dörge.

Album title: Anonymus.

Format: Album-CD.

Recorded from June 1992 to August 1992.

Recording studio: Klangwerk-Studio, Marburg (Deutschland).

Line-up: Christian Dörge (vocals, piano, synthesizers, guitars, programmings),

Michi 'Smoking Ace' Renninger (add. drums), Nadine Wenzel (virtual sanity).

Produced by: Christian Dörge.

Sound engineer: Michi 'Smoking Ace' Renninger.

Mixed by: Christian Dörge.

Released: November 1992.

Record label: Signum-Verlag.

 

Tracks:

1. Philister

2. Gift

3. …Abfackeln!

4. Flut I

5. Träume in blauen Wassern

6. Kopf im Eis

7. Anonymus

8. Flut II

9. Napalm-Gott

10. Flut III

11. Der Kult

12. Tod/Death

 

 

 

I can't remember who actually came up with the idea of recording an album... to be honest: It certainly wasn't my idea. You know, back then I was a writer of novels and stories, a lyricist, stage actor and theatre director... There was absolutely no need to pursue a career as a musician. Nevertheless, even back then (in 1992) I was enormously fascinated by musical theatre, and the idea of recording a musical theatre album seemed at least... promising. To endeavour to confirm the usual cliché: I didn't have the slightest idea of what to expect, and I dared to do it anyway...

 

The recordings for Anonymus - my first album on which I set my lyrical works to music - took place in the same studio where I had been producing the music (or more accurately: the sound experiments) for my stage plays since 1989: at the Klangwerk studio in Marburg/Lahn, a beautiful little university town in the centre of Germany. The original plan was to involve the poet Mirko Boucsein (we worked on a book called Philister in the early 90s and organised numerous readings together) in the project, but for some reason that didn't happen... much to my regret. The studio itself was a cosy, uncluttered space (located two floors above a 60s music record shop), full of dusty carpets, lots of technology and a variety of electronic instruments, dominated by a 24-channel mixer. The highlight, however, was undoubtedly a Steinway grand piano O-180 (built in 1911), which was missing various black keys and was only partially ready for use for other reasons (which actually suited me or my artistic intentions).

 

So I selected some lyrics from my books and started to think seriously about the whole thing on the basis of these texts - and as (technocratic) research for Anonymus I started to deal with the how of industrial music, with distorted, overdriven sounds constructed and composed around drum machines, piano loops and tape echoes. During the first two weeks in the studio, I wrote an immense amount of music - especially the Flut parts, which form the core of the album, were created in this initial phase. The lyrics that I felt were most suitable for setting to music were dark, sometimes downright aggressive - Napalm Gott and Schwarzes Blei in particular - and this off-kilter nature ultimately became the 'chamber tone' of the whole album. I tried to destroy sounds, to manipulate everything that came out of the machines - with the aim of creating a sound like a storm of ashes, a sound like a darker glitter. Some songs were written on a Korg SV1 piano - no displays, no LEDs, no touchscreen: a real instrument, not a computer; classical piano playing, systematically destroyed and alienated. For sequencer programming, I used an early version of Cubase (with the help of an Atari 1040 STF computer and a black and white monitor); to record special distortions and overdrives, I used my very first electric guitar - a Gibson ES-135, which has unfortunately been lost over the years (somehow, somewhere).

 

The greatest gift during the recording sessions was Michi 'Smokin'Ace' Renninger, who engineered the album. He encouraged me to produce the album myself and to force at least ten (sometimes completely contradictory) ideas into the form of one single song. I think the list of his contributions to the project is very, very long - Anonymus would never have seen the light of day without him. He introduced me to a more musical and less sound-component style - always teetering on the edge of (admittedly controlled) madness and (focussed) genius.

 

All in all, it took me six weeks of recording and one week of mixing to complete Anonymus. The mastering of the album was done in a studio in Hamburg/Germany (end of August 1992, if I remember correctly), and at the beginning of September 1992 I presented the result of my work to the record company that had signed me a few weeks before and thus 'bought a pig in a poke', so to speak. But - the company's A&R man didn't like Anonymus at all. "Too demanding, too academic, nobody understands it!" he said. And he gave me some good advice: "Make it simpler, more gothic-style!" It was easy for me to deduce from this how little the complete artistic freedom promised to me in the contract meant in practice.

 

Well, yes.

 

Certainly I had no intention of reworking the material - because I was convinced that the album was perfect; Dadaist, but perfect. It represented my way of 'getting the job done' and keeping all comparable artists away from my door. I finally released it in November 1992 through Signum-Verlag (where my books have been published since 1987) to rave reviews, but my record company was (to put it mildly) less than amused by the release and was already warming up the lawyers. For the sake of peace and quiet, I stopped selling the album... and in the 90s the master DAT was lost in the record company's archive vaults. It took my lawyer years to finally get his hands on it.

 

In 2011, the record company sent the DAT back to me, but it was badly damaged (it had obviously been stored very carelessly). There may be a chance - with the technology of the (relative) present - to make the DAT fully audible again and 'rescue' it; we'll see.

 

Looking back, it was a great experience writing, composing and recording Anonymus - the weeks in the studio were definitely an inspiring, artful time with lots of fun, great élan and a gentle sound of thunder in the distance. I went out every night and hung out in the bars and cafes for nights on end, something I'd never done before and never did again. I found myself in all sorts of crazy and wonderful situations.... undoubtedly a good (and suitably hedonistic) start to my career as a musician, although I couldn't help but notice some highly unpleasant music industry practices.

 

Album No. 2 (released in 1993) would indeed be markedly different, far more accessible, yet riddled with all sorts of (far more serious) problems... but that's another story.

 

 

 

Christian Dörge,

 

- Munich/Germany, August 2024